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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Sie sollten mal mit Ihrer Tochter sprechen – sie warnen. Sie wissen, dass dieser Allerton keinen guten Ruf hat, und sie – nun, es sieht aus, als ob sich da etwas anbahnt.«
    Diese kinderlosen Leute hatten alle leicht reden! Judith warnen!
    Hatte das irgendeinen Sinn? Würde es nicht alles noch schlimmer machen?
    Wenn doch nur Cinders noch gelebt hätte. Sie hätte gewusst, was zu sagen und was zu tun war.
    Ich muss zugeben, dass ich versucht war, meinen Mund zu halten und zu schweigen. Aber nach einer Weile kam mir der Gedanke, dass dies nichts als Feigheit sei. Ich fürchtete die Unannehmlichkeit einer Auseinandersetzung mit Judith. Ich hatte richtiggehend Angst vor meiner großen, schönen Tochter.
    Ich ging mit wachsender Unruhe im Garten auf und ab. Zuletzt führten mich meine Schritte in den Rosengarten, wo mir die Entscheidung abgenommen wurde. Judith saß dort nämlich allein auf einer Bank, und ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie eine Frau mit einem so unglücklichen Gesicht gesehen.
    Sie hatte ihre Maske abgelegt. Unentschlossenheit und Verzweiflung traten nur allzu deutlich hervor.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und schritt auf sie zu. Sie nahm mich erst wahr, als ich dicht neben ihr stand. »Judith«, sagte ich, »um Gottes willen, Judith, nimm dir’s nicht so zu Herzen!«
    Sie drehte sich erschrocken um. »Vater? Ich hab dich gar nicht kommen gehört.«
    Ich fuhr unbeirrt fort, weil ich nicht Gefahr laufen wollte, dass unsere Unterhaltung in die üblichen Bahnen gelenkt wurde.
    »O mein liebes Kind, glaub nicht, dass ich mit Blindheit geschlagen bin und nichts gemerkt habe. Er ist es nicht wert – glaub mir bitte, er ist es nicht wert!«
    Ihr sorgenvolles, erschrecktes Gesicht war mir zugewandt. »Glaubst du, dass du wirklich weißt, wovon du redest?«, fragte sie ruhig.
    »Ja! Du hängst an diesem Mann. Aber glaub mir, es hat keinen Sinn.«
    Sie lächelte ernst. Es konnte einem das Herz zerreißen.
    »Das weiß ich vielleicht genauso gut wie du.«
    »Nein, das kannst du nicht. O Judith, wie soll denn das enden? Er ist ein verheirateter Mann. Es kann für euch keine Zukunft geben – nur Leid und Schande –, und am Ende steht bitterer Selbsthass.«
    Ihr Lächeln wurde noch trauriger. »Wie leicht dir das über die Lippen kommt.«
    »Gib ihn auf, Judith – gib alle Gedanken an ihn auf!«
    »Nein!«
    »Er ist es nicht wert, mein liebes Kind.«
    »Er bedeutet mir alles auf der Welt«, erklärte sie ruhig und mit Nachdruck.
    »Nein, nein, Judith. Ich bitte dich – «
    Das Lächeln verschwand. Wie eine Furie ging sie auf mich los. »Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, dich einzumischen? Ich verbitte mir das! Du wirst nie wieder davon anfangen! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Das geht dich überhaupt nichts an. Es ist mein Leben – mein eigenes, innerstes Leben!«
    Sie sprang auf, schob mich zur Seite und ging davon. Wie eine Rachegöttin, dachte ich, während ich ihr bestürzt nachsah.
    Eine Viertelstunde später stand ich immer noch hilflos und benommen da, unfähig, den nächsten Schritt zu überlegen.
    So fanden mich Elizabeth Cole und Norton.
    Sie waren, wie ich später erkannte, besonders freundlich zu mir. Sie mussten gemerkt haben, dass ich mich in einem Zustand größter Verwirrung befand. Doch sie waren taktvoll genug, mit keiner Bemerkung darauf anzuspielen. Stattdessen nahmen sie mich auf einen Spaziergang mit. Sie waren beide Naturfreunde. Elizabeth Cole zeigte mir wild wachsende Blumen, Norton ließ mich durch sein Fernglas Vögel beobachten.
    Die Unterhaltung war freundlich und beruhigend und drehte sich nur um gefiederte Wesen und Waldpflanzen. Nach und nach gewann ich meine Fassung wieder, wenn es auch in meinem Innern weiterbrodelte.
    Außerdem war ich, wie das in solchen Fällen zu sein pflegt, überzeugt, dass alle Ereignisse mit meiner persönlichen Verwirrung in Zusammenhang standen.
    Deshalb schöpfte ich sofort Verdacht, als Norton mit dem Fernglas vor den Augen ausrief: »Wenn das kein Buntspecht ist. Ich hab noch nie – « und dann plötzlich abbrach. Ich streckte meine Hand nach dem Fernglas aus.
    »Darf ich mal sehen?«, fragte ich.
    Norton ließ das Glas unschlüssig sinken. Mit seltsam stockender Stimme sagte er: »Ich – ich habe mich geirrt. Er ist weggeflogen – außerdem war es nur ein ganz gewöhnlicher Vogel.«
    Sein Gesicht war blass und besorgt, und er vermied es, uns anzusehen. Er schien bestürzt und bedrückt zu sein.
    Sogar jetzt kann

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