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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Carrington hatte es anscheinend niemand gemerkt. Ein paar Minuten später fragte er mich leise: »Ist irgendetwas, Hastings?«
    »Nein, warum?«
    »Nun – eben haben Sie ausgesehen – ich kann es nicht genau erklären.«
    »Es war nur ein Gefühl der – Besorgnis.«
    »Eine böse Ahnung?«
    »Ja, so kann man es auch nennen. Ein Gefühl, dass – dass irgendetwas in der Luft liegt.«
    »Komisch. Ich habe ein- oder zweimal etwas Ähnliches gespürt. Haben Sie eine Ahnung, was es sein könnte?«
    Er beobachtete mich genau.
    Ich schüttelte den Kopf. Tatsächlich war es nur eine ganz unbestimmte Vorahnung gewesen. Eine Welle von Niedergeschlagenheit und Angst.
    Dann war Judith aus dem Haus gekommen, langsam, mit erhobenem Kopf, die Lippen zusammengepresst. Ein ernster Ausdruck lag auf ihrem schönen Gesicht.
    Mir fiel auf, wie wenig sie mir oder Cinders glich. Sie glich einer jungen Priesterin. Norton muss etwas Ähnliches empfunden haben, denn er sagte zu ihr: »Sie sehen aus, wie Ihre Namensschwester ausgesehen haben könnte, bevor sie Holofernes den Kopf abschnitt.«
    Judith lächelte und zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, weshalb sie es tat.«
    »Oh, natürlich nur aus den höchsten moralischen Gründen, zum Wohle der Gemeinschaft.«
    Sein leicht anzüglicher Ton ärgerte sie. Sie errötete, ging an ihm vorbei und setzte sich neben Franklin. »Mrs Franklin fühlt sich viel besser«, sagte sie. »Sie möchte, dass wir heute Abend alle den Kaffee auf ihrem Zimmer trinken.«
     
    Mrs Franklin war wirklich ein launisches Geschöpf, dachte ich, als wir nach dem Abendessen einer hinter dem anderen die Treppe hinaufstiegen. Nachdem sie tagsüber allen das Leben verleidet hatte, zeigte sie sich jetzt von ihrer liebenswürdigsten Seite.
    In ein nilgrünes Negligé gehüllt ruhte sie auf ihrem Sofa. Neben ihr stand ein niedriger drehbarer Bücherständer, auf dessen Platte die Kaffeemaschine wartete. Mit ihren blassen Händen machte sie sich geschickt an das Ritual der Kaffeezubereitung, wobei ihr Schwester Craven ein wenig half. Wir hatten uns alle eingefunden, außer Poirot, der sich vor dem Abendessen stets zurückzog; außer Allerton, der noch in Ipswich war, und außer Colonel Luttrell und seiner Frau, die unten geblieben waren.
    Das Aroma des Kaffees begann, uns in die Nase zu steigen – ein köstlicher Duft. Der Kaffee, den man sonst auf Styles servierte, war eine fade, trübe Brühe, und so sahen wir dem Aufguss aus Mrs Franklins frisch gemahlenen Bohnen erwartungsvoll entgegen.
    Franklin saß auf der anderen Seite des Bücherständers und reichte die von seiner Frau gefüllten Tassen weiter. Boyd Carrington stand zu Füßen des Sofas, Elizabeth Cole und Norton lehnten am Fenster. Schwester Craven hatte sich zum Kopfende des Bettes zurückgezogen. Ich selbst saß in einem Lehnstuhl und quälte mich mit dem Kreuzworträtsel in der Times. Ich las die gesuchten Begriffe vor.
    »Ehegefahr?«, fragte ich. »Mit neun Buchstaben.«
    »Vermutlich ein Anagramm«, meinte Franklin.
    Wir überlegten eine Weile. Ich las weiter: »Zitat: ›Und das Echo antwortet auf alle Fragen –?‹ Von Tennyson. Drei Buchstaben.«
    »Ich«, schlug Mrs Franklin vor. »Das ist bestimmt richtig: ›Und das Echo antwortet auf alle Fragen ich.«‹
    Ich zweifelte. »Das würde bedeuten, dass ein anderes Wort mit einem ›H‹ aufhört.«
    »Aber viele Wörter enden doch so – Dach und Fach und Krach zum Beispiel.«
    Vom Fenster her kam Elizabeth Coles Stimme: »Das Tennyson-Zitat heißt: ›Und das Echo antwortet auf alle Fragen Tod.‹«
    Neben mir sog jemand hörbar die Luft ein. Ich sah auf. Es war Judith. Sie ging an uns vorbei zur Balkontür und trat auf den Balkon.
    Ich trug das Wort in die Kästchen ein und sagte: »Ehegefahr kann kein Anagramm sein, weil der vierte Buchstabe jetzt ein T ist.«
    »Wie viel Buchstaben waren es noch?«
    »Neun.«
    »Mätresse«, sagte Boyd Carrington.
    Ich hörte, wie der Teelöffel auf Mrs Franklins Untertasse klirrte. »Die nächste Frage lautet: Wer nannte Eifersucht ein ›grüngeaugtes Scheusal‹?«
    »Shakespeare«, antwortete Boyd Carrington.
    »War es Othello oder Emilia?«, fragte Mrs Franklin.
    »Viel zu lang. Es dürfen nur vier Buchstaben sein.«
    »Jago!«
    »Ich bin sicher, dass es Othello war.«
    »Es stammt überhaupt nicht aus Othello. Romeo hat es zu Julia gesagt.«
    Jeder von uns äußerte seine Meinung. Plötzlich rief Judith vom Balkon

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