Vorhang
ziemlich bedrückt.
»Ja«, gab er zu. »Ich habe endlich etwas getan, was ich schon seit Langem tun wollte. Das ist sehr befriedigend.«
Unten trennten wir uns, und ich sah einen Augenblick zu den Bridgespielern hinein. Norton blinzelte mir zu, als Mrs Luttrell gerade wegschaute. Das Spiel schien in ungewöhnlicher Eintracht zu verlaufen. Allerton war noch immer nicht zurückgekehrt. Mir kam die Atmosphäre im Haus ohne ihn fröhlicher und gelöster vor.
Ich ging hinauf zu Poirot. Judith saß bei ihm. Sie lächelte mir zu, als ich ins Zimmer trat, sagte aber nichts.
»Sie hat Ihnen vergeben, mon ami«, meinte Poirot – eine unverschämte Bemerkung.
»Wirklich!«, stieß ich hervor. »Ich glaube kaum – «
Judith erhob sich, legte ihren einen Arm um meinen Nacken und gab mir einen Kuss. »Armer Vater«, sagte sie. »Onkel Hercule soll dich nicht kränken. Ich bin es, die um Verzeihung bitten muss. Also verzeih mir und gute Nacht!«
Ich weiß nicht genau, warum ich da antwortete: »Tut mir leid, Judith. Tut mir sehr leid. Ich wollte nicht – «
»Schon in Ordnung«, unterbrach sie mich. »Vergessen wir’s. Alles ist jetzt in Ordnung.« Sie lächelte versonnen und wiederholte: »Alles ist jetzt in Ordnung…« Damit ging sie hinaus.
Poirot sah zu mir auf. »Nun?«, fragte er, als wir allein waren. »Was ist heute Abend passiert?«
Ich spreizte die Hände. »Nichts«, erwiderte ich, »und es sieht auch nicht so aus, als würde noch etwas passieren.«
Tatsächlich irrte ich mich gewaltig. Denn in jener Nacht geschah sehr wohl etwas. Mrs Franklin wurde furchtbar krank. Man ließ zwei weitere Ärzte kommen, doch vergebens. Am Morgen war sie tot.
Erst vierundzwanzig Stunden später erfuhren wir, dass sie an einer Physostigminvergiftung gestorben war.
14
D ie gerichtliche Untersuchung fand zwei Tage später statt. Es war das zweite Mal, dass ich in diesem Teil der Welt einer solchen Untersuchung beiwohnte.
Der Untersuchungsrichter war ein fähiger Mann mittleren Alters mit einem pfiffigen Gesicht und einer nüchternen Ausdrucksweise.
Als Erstes kam das medizinische Gutachten. Es bestätigte die Tatsache, dass der Tod infolge einer Physostigminvergiftung eingetreten war und außerdem Spuren anderer Alkaloide der Kalabarbohne festgestellt worden seien. Das Gift müsse irgendwann zwischen sieben Uhr abends und Mitternacht eingenommen worden sein. Auf einen genaueren Zeitpunkt wollten sich der Polizeiarzt und sein Kollege nicht festlegen.
Als nächster Zeuge wurde Dr. Franklin gehört. Er machte alles in allem einen recht guten Eindruck. Seine Aussage war einfach und präzise. Nach dem Tod seiner Frau hatte er die Laborbestände überprüft und dabei entdeckt, dass ein bestimmtes Fläschchen statt mit einer starken Lösung von Alkaloiden der Kalabarbohne mit gewöhnlichem Wasser gefüllt war und nur noch Spuren der ursprünglichen Lösung enthielt. Er konnte nicht genau angeben, seit wann dies der Fall war, da er das bewusste Präparat einige Tage lang für seine Experimente nicht gebraucht hatte.
Dann wurde die Frage erörtert, wer das Labor betreten konnte. Dr. Franklin erklärte, dass es gewöhnlich verschlossen sei und er den Schlüssel bei sich trage. Seine Assistentin Miss Hastings besitze einen zweiten Schlüssel. Jeder, der hineinwollte, habe ihn bei ihr oder ihm selbst holen müssen. Seine Frau habe ihn sich gelegentlich geborgt, wenn sie im Labor etwas vergessen hatte. Er habe nie eine Physostigminlösung ins Haus oder in das Zimmer seiner Frau mitgenommen und halte es für ausgeschlossen, dass sie sie versehentlich eingenommen habe.
Auf weitere Fragen des Richters sagte er aus, dass der Gesundheitszustand seiner Frau seit einiger Zeit schlecht gewesen sei – kein organisches Leiden, sondern nervlich bedingt. Sie habe unter Depressionen und häufigen Stimmungsschwankungen gelitten.
In letzter Zeit, erklärte er, sei sie heiterer gewesen, und er habe daraus geschlossen, dass ihr körperlicher und seelischer Zustand sich gebessert habe. Es habe keinen Streit zwischen ihnen gegeben, sie seien gut miteinander ausgekommen. Am letzten Abend sei ihm seine Frau gut gelaunt und keineswegs melancholisch vorgekommen.
Gelegentlich habe sie zwar davon gesprochen, ihrem Leben ein Ende zu machen, aber er habe das nicht ernst genommen. Die ausdrückliche Frage, ob seine Frau zum Selbstmord geneigt habe, verneinte er. Das sei seine persönliche Meinung und auch seine Meinung als Arzt.
Nach ihm wurde
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