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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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beeinflussen, aber ich fürchte, ohne Erfolg.«
    Er lächelte ein wenig. »Sie nehmen ihre Vaterrolle sehr ernst, nicht wahr? Judith sagte so etwas. Judith lacht nicht oft – eine ernste junge Frau. Wahrscheinlich arbeitet sie zu viel. Meine Schuld.« Er runzelte die Stirn.
    »Ihre Arbeit muss sehr interessant sein.«
    »Nur für ein halbes Dutzend Experten. Für alle anderen ist es eine elend langweilige Sache – und diese Leute haben wahrscheinlich recht. Jedenfalls – «, er warf den Kopf zurück, reckte die Schultern und wirkte plötzlich kraftvoll und männlich, »– jedenfalls habe ich jetzt meine Chance! Ich könnte laut singen vor Freude. Das Institut hat mir heute Bescheid gegeben. Der Posten ist noch frei, und ich bekomme ihn. Ich breche in zehn Tagen auf.«
    »Nach Afrika?«
    »Ja. Es ist einfach großartig!«
    »So bald schon!« Ich war leicht schockiert.
    Er sah mich verständnislos an. »Wie meinen Sie das? Ach – weil Barbara gerade erst gestorben ist? Warum denn nicht? Es hat keinen Sinn, so zu tun, als sei ihr Tod nicht eine große Erleichterung für mich gewesen.«
    Der Ausdruck auf meinem Gesicht schien ihn zu amüsieren.
    »Ich fürchte, ich habe keine Zeit für die übliche Trauer. Ich habe mich in Barbara verliebt – sie war ein junges hübsches Mädchen –, ich habe sie geheiratet, und nach einem Jahr war meine Liebe erloschen. Ich glaube, es hat nicht mal so lange gedauert! Natürlich war ich eine Enttäuschung für sie. Sie dachte, sie könnte mich ändern. Es gelang ihr nicht. Ich bin ein hartgesottener Egoist, der tut, was er will.«
    »Sie haben den Posten in Afrika doch ihretwegen abgelehnt«, erinnerte ich ihn.
    »Ja, aus rein finanziellen Gründen. Ich hatte mir vorgenommen, Barbara das Leben zu bieten, das sie gewohnt war. Dieser Posten hätte große Einschränkungen bedeutet. Aber jetzt«, er lächelte freimütig und jungenhaft, »jetzt hat sich doch alles zum Guten gewendet.«
    Ich war entsetzt. Ich nehme an, dass vielen Männern nicht gerade das Herz bricht, wenn sie ihre Frau verlieren – das ist eine mehr oder weniger bekannte Tatsache. Aber in diesem Fall ging die Offenheit zu weit!
    Er bemerkte meine Entrüstung, was ihn nicht weiter zu stören schien.
    »Ehrlichkeit«, sagte er, »wird selten geschätzt. Dabei erspart sie einem eine Menge Zeit und eine Menge überflüssiges Gerede.«
    »Berührt es Sie denn überhaupt nicht, dass Ihre Frau Selbstmord begangen hat?«, fragte ich scharf.
    »Ich glaube eigentlich nicht an Selbstmord«, antwortete er nachdenklich. »Höchst unwahrscheinlich – «
    »Was war es Ihrer Ansicht nach dann?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich – ich will es auch nicht wissen. Verstehen Sie?«
    Ich starrte ihn verblüfft an. Seine Augen blickten hart und kalt.
    »Ich will es nicht wissen«, wiederholte er. »Es – es interessiert mich nicht! Verstehen Sie?«
    Ich verstand ihn zwar – aber es gefiel mir nicht.
     
    Ich weiß nicht mehr genau, wann ich merkte, dass Stephen Norton ein Problem mit sich herumtrug. Nach der gerichtlichen Untersuchung war er sehr schweigsam gewesen und lief auch nach der Beerdigung noch immer mit gerunzelter Stirn und zu Boden gewandtem Blick umher. Er hatte die Gewohnheit, sich mit den Händen durch sein kurzes graues Haar zu fahren, bis es ihm wie beim Struwwelpeter in die Höhe stand. Es sah komisch aus, aber er tat es ganz unbewusst, ein Zeichen innerer Unruhe. Wenn man ihn ansprach, gab er geistesabwesende Antworten, und schließlich kam ich darauf, dass ihn tatsächlich etwas quälen musste. Ich fragte ihn vorsichtig, ob er irgendwelche schlechte Nachrichten erhalten habe, was er prompt verneinte. Damit war das Thema im Augenblick beendet.
    Bald darauf schien er jedoch auf seine umständliche, weitschweifige Art meine Meinung in einer bestimmten Angelegenheit erfahren zu wollen.
    Leicht stotternd wie immer, wenn ihm ernsthaft an einer Sache lag, erzählte er mir eine verwickelte Geschichte, die in einem moralischen Problem gipfelte.
    »Wissen Sie, Hastings, eigentlich sollte es schrecklich einfach sein zu beurteilen, ob etwas richtig oder falsch ist, – aber wenn – wenn es dann so weit ist, fällt einem diese Entscheidung gar nicht so leicht. Ich meine, man kann mal auf etwas stoßen – auf etwas, das nicht für einen bestimmt ist – reiner Zufall, wissen Sie –, auf eine Sache – mit der man selbst nichts anfangen kann, die aber trotzdem sehr wichtig sein könnte. Verstehen Sie, was ich

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