Vorhang
nicht?«
»Ich werde nicht in England sein.«
Ich sah sie erstaunt an.
»Ich habe es dir nicht eher gesagt, Vater, weil ich dir das Leben nicht noch schwerer machen wollte. Aber schließlich musst du es einmal erfahren. Hoffentlich macht es dir nicht zu viel aus. Ich gehe nämlich mit Dr. Franklin nach Afrika.«
Da explodierte ich. Das sei unmöglich! So etwas könne sie nicht tun! Sie würde unweigerlich ins Gerede kommen. Dass sie in England bei ihm gearbeitet habe, als seine Frau noch lebte, dagegen sei nichts einzuwenden, aber mit ihm ins Ausland, nach Afrika, zu fahren – das sei etwas ganz anderes. Das sei unmöglich, und ich würde es ihr strikt verbieten. Judith dürfe so etwas nicht tun!
Sie ließ mich ausreden, ohne mich zu unterbrechen. Sie lächelte leicht.
»Aber ich fahre ja nicht als seine Assistentin mit«, erklärte sie. »Ich begleite ihn als seine Frau.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
»Und Al – Allerton?«, stotterte ich.
Sie sah mich belustigt an. »Das stand nie zur Debatte. Ich hätte es dir erzählt, wenn ich nicht so wütend auf dich gewesen wäre. Außerdem wollte ich, dass du das denkst. Du solltest nicht wissen, dass es in Wirklichkeit John war.«
»Aber ich habe doch gesehen, wie Allerton dich geküsst hat – abends, beim Haus.«
»Ach das«, sagte sie ungeduldig. »An jenem Abend war mir so elend zumute. So etwas kann passieren. Sicher kennst du solche Stimmungen auch.«
»Du kannst Franklin nicht heiraten – nicht so bald danach«, wandte ich ein.
»Doch! Ich möchte mit ihm gehen, und wir brauchen nicht zu warten. Jetzt nicht mehr!«
Judith und Franklin! Franklin und Judith!
Verständlich, dass mir in diesem Augenblick die seltsamsten Gedanken durch den Kopf schossen – die offenbar schon länger unbewusst in mir geschlummert hatten.
Judith mit einem Fläschchen in der Hand. Judith, wie sie mit junger, leidenschaftlicher Stimme erklärte, dass wertloses Leben nützlichem weichen müsse! Judith, die ich liebte und die auch Poirot geliebt hatte. Jene zwei Personen, die Norton gesehen hatte – waren es Judith und Franklin gewesen? Und wenn – wenn – nein, das konnte nicht wahr sein! Nicht Judith! Bei Franklin hielt ich es für möglich – ein seltsamer, skrupelloser Mann. Wenn Franklin sich einmal für Mord entschieden hatte, wäre er imstande, weiter und weiter zu morden.
Poirot hatte eingewilligt, Franklin zurate zu ziehen.
Warum? Was hatte er an jenem Morgen zu ihm gesagt?
Aber nicht Judith! Nicht meine schöne, ernste Judith!
Und doch, mit welch seltsamem Ausdruck hatte Poirot erklärt: »Dann werden Sie vielleicht lieber sagen: ›Lasst den Vorhang fallen!‹«
Plötzlich erschreckte mich ein neuer Gedanke. Ungeheuerlich! Unmöglich! War die ganze Geschichte von X eine Erfindung? War Poirot nach Styles gekommen, weil er befürchtete, bei den Franklins könne etwas Entsetzliches geschehen? War er gekommen, um über Judith zu wachen? War das der Grund, weshalb er mir absolut nichts erzählen wollte? Weil die ganze Geschichte von X eine Erfindung, ein Täuschungsmanöver war?
Spielte Judith, meine Tochter, die Hauptrolle in dieser Tragödie?
Othello! Am Abend vor Mrs Franklins Tod hatte ich O thello aus dem Bücherständer genommen. War der Hinweis so zu verstehen?
Judith, die, wie jemand hier einmal bemerkt hatte, aussehen könne wie ihre Namensschwester, als sie Holofernes den Kopf abschneiden wollte. Judith – mit Mordgedanken im Herzen?
19
I ch schreibe dies in Eastbourne. Ich bin hierhergekommen, um George zu besuchen, Poirots früheren Diener.
George hatte viele Jahre in Poirots Diensten gestanden. Er war ein tüchtiger, praktisch veranlagter Mensch ohne jeden Funken Fantasie. Er nannte die Dinge immer beim Namen und nahm sie für das, was sie waren.
Ich suchte ihn also auf. Ich berichtete ihm von Poirots Tod, und George reagierte, wie ich erwartet hatte: Er war unglücklich und betrübt, und es gelang ihm fast, dies zu verbergen.
»Er hat bei Ihnen eine Nachricht für mich hinterlassen, nicht wahr?«, fragte ich.
»Für Sie, Sir? Nicht dass ich wüsste.«
Ich war überrascht. Ich bohrte weiter, aber es kam nichts dabei heraus.
Schließlich sagte ich: »Offenbar habe ich mich geirrt. Das ist dann wohl alles. Ich wollte, Sie wären in seinen letzten Stunden bei ihm gewesen!«
»Das hätte ich mir auch gewünscht, Sir.«
»Aber die Krankheit Ihres Vaters ging vermutlich vor.«
George sah mich eigenartig an. »Verzeihung,
Weitere Kostenlose Bücher