Vorhang
Sir«, sagte er, »aber ich verstehe nicht ganz.«
»Sie mussten doch Ihren Dienst aufgeben, damit Sie sich um Ihren Vater kümmern konnten, nicht wahr?«
»Ich wollte nicht weg, Sir. Monsieur Poirot hat mich fortgeschickt.«
»Fortgeschickt?«, wiederholte ich verwundert.
»Nicht dass er mich entlassen hätte, Sir! Es war abgemacht, dass ich später zurückkommen sollte. Aber ich bin auf seinen Wunsch gegangen. Er hat mich für die Zeit, die ich hier bei meinem alten Vater verbracht habe, angemessen entschädigt.«
»Aber warum nur, George, warum?«
»Das weiß ich wirklich nicht, Sir!«
»Haben Sie ihn nicht gefragt?«
»Nein, Sir. Ich fand, dass mir dies nicht zustehe. Monsieur Poirot hatte seine eigenen Ideen, Sir. Ein sehr kluger Gentleman, das habe ich immer gesagt, Sir, und sehr angesehen.«
»Ja, ja«, murmelte ich abwesend.
»Und mit seiner Kleidung war er stets sehr heikel – obwohl er einen etwas eigenartigen und fremdländischen Geschmack hatte, wenn Sie wissen, was ich meine. Aber das ist natürlich ganz verständlich, da er Ausländer war. Und auch sein Haar und sein Schnurrbart!«
»Ach, der berühmte Schnurrbart.« Ich erinnerte mich schmerzlich daran, wie stolz er immer auf ihn gewesen war.
»Er hat auf seinen Schnurrbart großen Wert gelegt«, fuhr George fort. »Die Art, wie er ihn getragen hat, war nicht sehr modisch, aber es stand ihm, wenn Sie wissen, was ich meine, Sir.«
Ich sagte, dass ich es wisse. »Er hat ihn wohl ebenso wie sein Haar gefärbt?«, murmelte ich.
»Er hat – äh – seinen Schnurrbart ein bisschen aufpoliert. Aber nicht das Haar – nicht in den letzten Jahren.«
»Unsinn«, sagte ich. »Es war rabenschwarz – so unnatürlich, dass es fast wie eine Perücke aussah.«
George räusperte sich. »Entschuldigen Sie, Sir, aber es war eine Perücke. Monsieur Poirots Haar war in letzter Zeit etwas dünn geworden, und so entschloss er sich zu einer Perücke.«
Ich dachte, wie seltsam es sei, dass der beste Freund eines Mannes weniger über ihn wusste als sein Diener.
Ich kam auf die Frage zurück, die mich beschäftigte.
»Haben Sie wirklich keine Ahnung, weshalb Monsieur Poirot sie wegschickte? Denken Sie mal nach, Mann!«
George bemühte sich, aber offenbar lag ihm das Denken nicht so sehr.
»Ich kann nur vermuten, Sir«, meinte er schließlich, »dass er mich weggeschickt hat, weil er Curtiss anstellen wollte.«
»Curtiss? Weshalb hätte er den Wunsch haben sollen, Curtiss anzustellen?«
George räusperte sich wieder. »Das kann ich wirklich nicht sagen, Sir. Curtiss schien mir nicht gerade der – entschuldigen Sie – der Hellste zu sein, Sir. Natürlich war er sehr kräftig, aber er besaß eigentlich nicht die Qualitäten, die Monsieur Poirot geschätzt hat. Ich glaube, er war früher einmal Pfleger in einer Nervenheilanstalt.«
Ich starrte George entgeistert an.
Curtiss!
War dies der Grund, weshalb Poirot darauf bestanden hatte, mir so wenig mitzuteilen?
Curtiss, der einzige Mann, den ich nie in Erwägung gezogen hatte! Und Poirot war es zufrieden gewesen und hatte mich unter den Gästen von Styles nach dem geheimnisvollen X suchen lassen. Aber X war kein Gast.
Es war Curtiss!
Ehemals Pfleger in einer Irrenanstalt. Hatte ich nicht irgendwo gelesen, dass manche geheilten Patienten einer Nervenklinik später als Pfleger arbeiten?
Ein eigenartiger, stumpfsinniger, beschränkter Mann – ein Mann, der aus irgendeinem seltsamen, verschrobenen, persönlichen Grund morden mochte…
Und wenn es stimmte – wenn es stimmte…
Nun, dann wäre mir eine schwere Last von der Seele genommen!
Curtiss?
NACHTRAG
A nmerkung von Captain Arthur Hastings: Der nachstehende Brief gelangte vier Monate nach dem Tod meines Freundes Hercule Poirot in meinen Besitz. Ich erhielt von einer Anwaltsfirma ein Schreiben, in dem ich gebeten wurde, in ihrem Büro zu erscheinen. Dort händigte man mir, »entsprechend dem Auftrag ihres Klienten, des verstorbenen Monsieur Hercule Poirot«, ein versiegeltes Päckchen aus. Darin lag dieser, von Poirot verfasste Brief, dessen Inhalt ich hier wiedergebe.
Mon cher ami,
wenn Sie diese Worte lesen, werde ich schon vier Monate tot sein. Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt niederschreiben soll, und bin zu dem Schluss gekommen, dass es jemanden geben muss, der die Wahrheit über die zweite »Affäre Styles« kennt. Außerdem wage ich die Vermutung, dass Sie zu dem Zeitpunkt, da Sie dieses lesen, die absurdesten
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