Vorhang
mich zu glauben, dass Poirot eines natürlichen Todes starb! Er wurde umgebracht, ebenso wie Norton, ebenso wie Barbara Franklin! Und ich weiß nicht, weshalb sie ermordet wurden – und ich weiß auch nicht, wer sie tötete!
Es gab eine gerichtliche Untersuchung über Nortons Tod, und das Urteil lautete auf Selbstmord. Nur der Gerichtsarzt fand es ungewöhnlich, dass ein Mann sich genau mitten in die Stirn schießt. Aber das war der einzige Schatten eines Zweifels.
Die ganze Sache war ja eindeutig: Die von innen abgeschlossene Tür, der Schlüssel in der Tasche des Toten, die fest verriegelten Fensterläden, die Pistole in seiner Hand. Offenbar hatte Norton zuweilen über Kopfschmerzen geklagt und mit einigen Investitionen in letzter Zeit Pech gehabt. Das waren kaum Gründe für einen Selbstmord, aber irgendetwas mussten sie schließlich anführen.
Die Pistole hatte anscheinend ihm gehört. Während seines Aufenthaltes auf Styles hatte das Hausmädchen sie zweimal auf seiner Kommode liegen sehen. Damit war die Sache also abgeschlossen.
Ein weiteres kunstvoll arrangiertes Verbrechen, für das es wie gewöhnlich keine andere Lösung gab.
Aus dem Duell zwischen Poirot und X war X als Sieger hervorgegangen.
Jetzt musste ich die Sache in die Hand nehmen!
Ich ging in Poirots Zimmer und holte die Kassette.
Da Poirot mich zu seinem Testamentsvollstrecker ernannt hatte, konnte ich dies ohne Weiteres tun. Der Schlüssel hatte ihm an einer Schnur um den Hals gehangen.
In meinem Zimmer öffnete ich die Kassette.
Ich erlebte einen schweren Schock. Die Aufzeichnungen über die Fälle waren verschwunden. Noch vor ein oder zwei Tagen hatte ich sie gesehen, als Poirot die Kassette geöffnet hatte. Das war für mich der Beweis – falls ich überhaupt einen solchen brauchte –, dass X an der Arbeit gewesen war. Entweder hatte Poirot die Aufzeichnungen selbst vernichtet – was sehr unwahrscheinlich war – oder X!
X! Dieser verdammte X!
Die Kassette war jedoch nicht ganz leer. Ich erinnerte mich an Poirots Versprechen, mir Hinweise zu hinterlassen, mit denen X nichts anfangen könne.
Waren dies die Hinweise?
Ich fand eine billige Ausgabe von Shakespeares Othello. Das andere schmale Buch war ein Stück von St. John Ervine: John Ferguson. Im dritten Akt steckte ein Lesezeichen.
Ich starrte hilflos auf die beiden Bücher.
Das waren also die Fingerzeige, von denen Poirot gesprochen hatte – und ich konnte überhaupt nichts damit anfangen!
Was sollten sie mir verraten?
Als Einziges fiel mir ein, dass es sich um eine Art Code handeln könnte. Ein Wortcode, der auf den Stücken basierte.
Aber wenn das stimmte, wie sollte ich ihn entschlüsseln?
Nirgends war ein Wort oder ein Buchstabe unterstrichen. Auch die Methode, irgendwelche Schriftzeichen durch Erwärmen sichtbar zu machen, blieb ohne Erfolg.
Ich las den dritten Akt von John Ferguson sorgfältig durch. Gefesselt und voll Bewunderung verfolgte ich die Szene, in der der arme Clutie John dasitzt und redet und die damit endet, dass der jüngere Ferguson hinausgeht, um nach dem Verführer seiner Schwester zu suchen. Die Charaktere waren meisterlich gezeichnet – aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass Poirot mir die Stücke hinterlassen hatte, um meinen literarischen Geschmack zu verbessern.
Doch dann, während ich blätterte, fiel ein Zettel heraus. Darauf stand ein Satz in Poirots Handschrift: Sprechen Sie mit meinem Diener George!
Das war endlich etwas. Möglicherweise besaß George den Schlüssel zu dem Code – falls es einer war. Ich musste Georges Adresse herausbekommen und ihn aufsuchen.
Doch zuerst hatte ich noch die traurige Pflicht, meinen lieben Freund zu Grabe zu tragen.
Hier in Styles hatte er bei seinem ersten Besuch in unserem Land gelebt. Hier sollte er die letzte Ruhe finden.
Judith war in diesen Tagen sehr freundlich zu mir. Sie widmete mir viel Zeit und half mir, die Formalitäten zu erledigen. Sie war sanft und mitfühlend.
Auch Elizabeth Cole und Boyd Carrington verhielten sich sehr rücksichtsvoll.
Miss Cole schien von Nortons Tod weniger berührt, als ich gedacht hatte. Falls ihr Kummer groß war, so zeigte sie es nicht.
Und so war alles zu Ende…
Ja, ich muss es hier niederschreiben! Ich muss es erwähnen! Die Beerdigung war vorbei. Ich saß mit Judith zusammen und versuchte, ein paar flüchtige Pläne für die Zukunft zu machen.
»Aber weißt du, mein Lieber«, sagte sie da, »ich werde nicht hier sein.«
»Wieso
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