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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Theorien entwickelt haben werden – und sich dadurch möglicherweise selbst großen Kummer bereiten.
    Aber lassen Sie mich das eine sagen: Sie hätten leicht von selbst hinter die Wahrheit kommen können, mon ami. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie alle Hinweise erhielten. Wenn Sie noch im Dunkeln tappen, dann nur deshalb, weil Sie einen viel zu anständigen und vertrauensseligen Charakter haben. A la fin comme au commenc e ment.
    Doch Sie hätten zumindest wissen müssen, wer Norton tötete – wenn Ihnen auch noch unklar ist, wer für den Tod von Barbara Franklin verantwortlich ist. Letzteres zu erfahren, dürfte ein Schock für Sie sein.
    Beginnen wir damit, dass ich Sie bat, zu mir zu kommen. Ich schrieb Ihnen, dass ich Sie brauche. Das stimmte. Ich schrieb Ihnen, dass Sie meine Augen und Ohren sein sollten. Auch das war richtig, sogar sehr richtig – wenn auch nicht in dem Sinn, wie Sie es auffassten! Sie sollten hören und sehen, was ich Sie hören und sehen lassen wollte.
    Sie haben sich darüber beklagt, c her ami, dass die Art, wie ich Sie in diesen Fall einweihte, »unfair« gewesen sei. Ich enthielte Ihnen Kenntnisse vor. Das heißt, ich weigerte mich, Ihnen die Identität von X zu verraten. Das ist wahr. Ich musste es tun – wenn auch nicht aus den Gründen, die ich Ihnen nannte. Sie werden sie gleich kennenlernen.
    Lassen Sie uns jetzt die Affäre X genau untersuchen. Ich habe Ihnen den zusammenfassenden Bericht über die verschiedenen Fälle gezeigt. Ich habe Sie darauf hingewiesen, dass es in jedem einzelnen Fall ziemlich klar schien, dass die beschuldigte oder verdächtige Person das betreffende Verbrechen tatsächlich beging und es keine Alternativlösung gab. Und dann habe ich Ihnen die zweite wichtige Tatsache genannt – dass X jedes Mal in die Sache verwickelt oder in der Nähe gewesen war. Das hat Sie zu einer Vermutung geführt, die paradoxerweise zugleich richtig und falsch ist. Sie sagten, dass X alle diese Morde begangen habe.
    Aber die Umstände, mein Freund, waren so, dass in allen – oder fast allen – Fällen nur die beschuldigte Person das Verbrechen begangen haben konnte. Aber was hatte X dann damit zu tun? Es ist nicht anzunehmen, dass, abgesehen von jemand, der mit der Polizei oder der Strafjustiz zu tun hat, irgendein Mann oder irgendeine Frau in fünf Mordfälle verwickelt ist. Verstehen Sie, das gibt es nicht! Es passiert einfach nicht, dass einem jemand vertraulich zuflüstert: »Übrigens, ich habe fünf Mörder gekannt!« Nein, nein, mon ami, das ist unmöglich. Wir haben es hier also mit dem bemerkenswerten Fall einer Katalyse zu tun – einer Reaktion zwischen zwei Substanzen, die nur in Gegenwart einer Dritten stattfindet, wobei diese dritte Substanz an der Reaktion anscheinend keinen Anteil hat und unverändert daraus hervorgeht. Das ist die Situation. Es bedeutet, dass dort, wo X anwesend war, Verbrechen geschahen – doch X beteiligte sich an diesen Verbrechen nicht aktiv.
    Eine außergewöhnliche, eine abnorme Situation! Und ich merkte, dass ich schließlich, am Ende meiner Laufbahn, auf den perfekten Verbrecher gestoßen war, den Verbrecher, der eine solche Technik entwickelt hatte, dass er niemals eines Verbrechens überführt werden konnte!
    Es war verblüffend. Aber es war nicht neu. Es gab schon Parallelen. Und damit kommen wir zu dem ersten Hinweis, den ich Ihnen hinterließ: Othello. Denn hier haben wir, großartig gezeichnet, das Original von X: Jago ist der perfekte Mörder. Desdemonas Tod, der von Cassio – und sogar der von Othello selbst – sind alles Jagos Verbrechen, von ihm geplant und vorangetrieben. Und er bleibt unverdächtig – oder hätte es bleiben können. Denn Ihr großer Shakespeare, mein Freund, musste sich mit dem Dilemma auseinandersetzen, das sein eigenes Können heraufbeschworen hatte. Um Jago zu entlarven, musste er auf den billigsten aller Tricks zurückgreifen – das Taschentuch –, ein Mittel, das der allgemeinen Technik Jagos nicht entsprach, ein Schnitzer, der ihm selbst, wie man deutlich erkennen kann, nicht unterlaufen wäre.
    Ja, hier haben wir die perfekte Kunst des Mordens. Nicht ein einziges Mal fordert er direkt zur Tat auf. Ständig hält er andere von Gewalttaten ab und weist mit Entsetzen Verdächtigungen zurück, an die niemand gedacht hat, bis er sie erwähnt.
    Die gleiche Technik finden wir im brillanten dritten Akt von John Ferguson, wo der »dumme« Clutie John andere anstachelt, den Mann zu töten, den er hasst.

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