Vorhofflimmern
Ich werde ganz brav sein“, versprach er schnell.
Ich knurrte missmutig, weil ich seinem Versprechen nicht im Mindesten
traute. Trotzdem blieb ich sitzen, da in diesem Moment die bekannte
Titelmelodie des Streifens ertönte und sofort meine Aufmerksamkeit auf sich
zog.
Überraschenderweise hielt Desiderio sich an sein Versprechen.
Wir verfolgten beide schweigend den Film und war ich anfangs noch unwohl auf
meinem Stuhl herumgerutscht, konnte ich mich schließlich beinahe schon als
ruhig bezeichnen. Zumindest bis zur ersten Werbepause.
Während ich noch überlegte, ob ich mich als Vorwand aufs Klo
flüchten sollte, hatte Desiderio sich bereits mir zugewandt.
„Warum hast du eigentlich nicht Medizin studiert?“, fragte
er.
Seine Frage kam so unerwartet, dass ich in einen Augenblick
lang überrascht ansah.
„Weil ich kein Abitur habe“, antwortete ich schließlich.
„Aber du warst auf dem Gymnasium“, stellte er fest.
Wieder starrte ich überrascht. Hatte er sich etwa bei anderen
über mich informiert?
„Woher...?“
„Soweit ich weiß, lernt man Italienisch nur auf dem
Gymnasium.“
„Oh.“
Gut, wenigstens hatte er nicht irgendwelche Leute über mich
ausgefragt. Und er war wohl ein sehr aufmerksamer Zuhörer.
„Also?“, hakte Desiderio nach, weil ich in Gedanken versunken
war. „Warum kein Abitur?“
Ich blinzelte und zuckte mit den Schultern. „War zu blöd
dafür.“
„Quatsch. Das glaub ich dir nicht.“
Glaubte er nicht? Folglich hielt er mich für intelligent. Und
warum freute ich mich jetzt darüber?
Dumme Lena!
Weil er immer noch auf eine Antwort wartete, zuckte ich
nochmals mit den Schultern.
„Das geht dich nichts an, okay?“, sagte ich bestimmt.
Desiderio musterte mich kurz mit seinen durchdringenden
Augen. Dann nickte er und drehte sich von mir weg. „Okay.“
Das wunderte mich nun doch ein wenig. Akzeptierte er jetzt
tatsächlich meine Abfuhr? Bewies er da gerade so etwas wie Taktgefühl?
Wahrscheinlicher fand ich allerdings, dass er sich einfach
nicht genügend für meine Antwort interessierte, um weiter nachzuhaken. Ja, das
schien logischer, als dass er mein angespanntes Gesicht und meine abwehrende
Haltung erkannt hätte. Diese eine, kleine Frage, die er mir gestellt hatte,
führte nämlich unweigerlich zu dem Teil meiner Vergangenheit, den ich lieber
aus meinem Gedächtnis verbannen würde, als mich damit auseinandersetzen zu
müssen. Nur meine Mutter und meine engsten Freunde wussten von dem größten
Fehler meines Lebens, den ich gewiss nicht einem dahergelaufenen Schnösel unter
die Nase reiben würde.
Als die Werbepause endlich vorbei war, ließ ich mich dankbar
von Uma Thurmanns Rachefeldzug ablenken.
Kapitel 10
Am Samstag, kurz nach Mittag,
brutzelte ich im Bikini auf meinem Balkon. Ich brutzelte tatsächlich, denn es
war unfassbar heiß. Daher auch meine knappe Bekleidung, die meinen Nachbarn
dazu bewogen hatte, in der vergangenen Stunde bereits dreimal seine
Balkonblumen zu gießen. Ich vergönnte ihm großzügig das Highlight seines Tages
und konzentrierte mich lieber auf den Roman in meinen Händen.
Ich war bereits so von der Geschichte gefangen, dass ich
erschrocken zusammenzuckte, als plötzlich mein Handy klingelte. Ein wenig
verdattert tastete ich nach dem Hörer. „Hallo?“
„Lena? Ich bin´s. Frank. Hast du geschlafen?“
„Nicht ganz, ich war nur gerade in ein Buch vertieft. Bist du
schon zu Hause?“
„Nein, darum rufe ich auch an. Das wird heute leider nichts.“
„Aaach, schade!“, seufzte ich übertrieben, obwohl ich
eigentlich jubeln wollte. Die Aussicht bei dieser Hitze den Farbroller zu schwingen,
hatte mich bereits am Vormittag in eine leichte Verstimmung verfrachtet.
Abgesagt hätte ich jedoch niemals, wodurch mir Franks Anruf nun mehr als
gelegen kam. „Warum denn nicht?“, fragte ich scheinheilig.
„Der Chef hat kurzfristig eine Sitzung einberufen, weil wir
nächste Woche einen Spezialgast aus Dubai bekommen.“
„Aus Dubai? Was will der denn bitte in Wollbach?“
„Das habe ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt.
Jedenfalls ist der Chef bereits jetzt völlig aus dem Häuschen und macht uns
alle ganz wahnsinnig. Alles muss piekobello sein! Und Wehe, wenn es
auch nur eine Beschwerde gibt! Als wäre bei uns sonst nicht alles in
Ordnung, aber egal. Unseren fröhlichen Maltag müssen wir verschieben, aber ich
dachte mir, dass ich dich dafür heute Abend zum Essen ausführe. Was hältst du
davon?“
„Hm, drei
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