Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
nie, was auf der anderen Seite los ist.«
Cordelia lachte geradeheraus. »Das erinnert mich an den
alten Witz, wo das Mädchen sagt: ›Tun wir's nicht, aber
erzählen wir allen, wir hätten's getan.‹«
Vorkosigan schnitt eine zustimmende Grimasse, setzte sich
auf den festgeschraubten Drehstuhl an dem Metalltisch, der an der Wand befestigt war, und drehte sich so herum, dass er ihr das Gesicht zuwandte. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine vor sich aus und machte ein ernstes Gesicht. Cordelia reckte den Kopf und lächelte erwartungsvoll. Er begann das Gespräch indirekt, indem er mit dem Kopf auf den Bildschirm zeigte, der über ihr Bett geschwenkt war. »Was haben Sie sich angeschaut?«
»Barrayaranische Geografie. Eine schöne Welt. Waren Sie je an den Ozeanen?«
»Als ich ein kleiner Junge war, pflegte meine Mutter mich
jeden Sommer nach Bonsanklar mitzunehmen. Es war eine Art
Erholungsort der Oberklasse, mit einer Menge jungfräulicher Wälder, die sich hinter der Stadt bis in die Berge hinaufzogen.
Mein Vater war meistens fort, in der Hauptstadt oder bei
seinem Korps. Der Mittsommertag war der Geburtstag des
alten Kaisers, und da gab es immer das fantastischste
Feuerwerk – zumindest erschien es mir damals so – draußen
über dem Ozean. Die ganze Stadt begab sich hinaus auf die
Esplanade. Niemand war bewaffnet, denn am Geburtstag des
Kaisers waren keine Duelle erlaubt. Und ich durfte in der
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ganzen Gegend frei herumlaufen.« Er blickte über die Spitzen seiner Stiefel auf den Boden. »Ich bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Ich würde Sie dorthin gern einmal mitnehmen, zum Mittsommerfest, falls sich dazu Gelegenheit bieten sollte.«
»Mir würde das sehr gefallen. Kehrt Ihr Schiff bald nach
Barrayar zurück?«
»Vorerst nicht, fürchte ich. Ihnen steht eine lange Frist der Gefangenschaft bevor. Aber wenn wir in Anbetracht der Flucht Ihres Schiffes heimkehren, dann dürfte es keinen Grund mehr für die Fortsetzung Ihrer Internierung geben. Sie werden vermutlich entlassen; dann können Sie sich in der betanischen Botschaft melden und heimreisen. Falls Sie es wünschen.«
»Falls ich es wünsche!« Sie lachte ein bisschen und lehnte sich gegen ihr hartes Kissen. Er betrachtete aufmerksam ihr Gesicht. Seine Haltung wirkte ziemlich entspannt, aber einer der gestiefelten Füße klopfte nervös auf den Boden. Sein Blick glitt zu den Stiefelspitzen, er runzelte die Stirn, und die Bewegung hörte auf. »Warum sollte ich es nicht wünschen?«
»Ich dachte, wenn wir auf Barrayar ankommen und Sie frei
sind, dann könnten Sie es sich vielleicht überlegen und
dableiben.«
»Für Besuche in – wie heißt es noch mal? – Bonsanklar, und so weiter? Ich weiß nicht, wie viel Urlaub ich noch haben werde, aber… – sicherlich, ich sehe gerne neue Orte. Ich würde mir gern Ihren Planeten anschauen.«
»Ich meine keinen Besuch. Sondern für dauernd. Als… als
Lady Vorkosigan.« Sein Gesicht hellte sich auf, aber er
lächelte gequält. »Ach, ich verpfusche es noch. Ich verspreche Ihnen, ich werde nie wieder von den Betanern denken, dass sie Feiglinge sind. Und Ihre Sitten erfordern mehr Mut als die selbstmörderischsten Mutproben unserer Jungs.«
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Sie ließ ihren Atem langsam durch ihre geschürzten Lippen
entweichen. »Sie geben sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden, nicht wahr?« Sie fragte sich, woher wohl die Redewendung stammte von dem Herzen, das einem im Leibe hüpft. Ihr kam es jetzt eher vor, als fiele ihr Magen ins Bodenlose. Ein
Schwindelgefühl packte sie, und jäh erwachte ihr
Körperempfinden; seiner Körperlichkeit war sie sich schon
überwältigend bewusst.
Er schüttelte den Kopf. »Ich will keine Kleinigkeiten, nicht für Sie, nicht mit Ihnen. Sie sollten das Beste bekommen. Ich bin wohl kaum der Beste, das müssen Sie ja jetzt schon wissen.
Aber zumindest kann ich Ihnen das Beste anbieten, was ich
habe. Liebe K-Kommandantin, bin ich zu plötzlich, nach
betanischen Maßstäben? Schon seit Tagen warte ich auf die
passende Gelegenheit, aber es schien nie eine zu kommen.«
»Tage! Wie lange haben Sie so etwas schon gedacht?«
»Der Gedanke kam mir zum ersten Mal, als ich Sie in der
Schlucht sah.«
»Was, als ich in den Schlamm kotzte?«
Er musste grinsen. »Mit großartiger Haltung. Als wir Ihren Offizier begraben hatten, war ich mir sicher.«
Sie rieb sich über die Lippen. »Hat Ihnen schon einmal
jemand gesagt, dass Sie verrückt
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