Vorkosigan 09 Waffenbrüder
warten«, sagte Ivan.
»Angenommen, er hat bloß eine Freundin gefunden. Wenn du
über das Ganze so besorgt bist, daß du noch diese andere Möglichkeit in Betracht ziehst, dann solltest du dich doch eigentlich für den Mann freuen. Er wird nicht sonderlich glücklich sein, wenn er von seiner ersten Nacht außerhalb der Botschaft zurückkommt und herausfindet, daß wir seine Dateien durchgefilzt haben.«
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Miles erkannte am Ton von Ivans Singsang, daß sein Cousin
sich dumm stellte und den advocatus diaboli spielte – das war der Trick eines scharfen, aber trägen Intellekts, um andere dazu zu kriegen, daß sie seine Arbeit taten. Ganz recht, Ivan.
»Wenn man eine Nacht außerhalb der Botschaft verbringt,
hinterläßt man dann nicht eine Notiz, wo man sich aufhält und wann man zurückkommt?«, fragte Miles.
»Doch, ja.«
»Und kommt man dann nicht rechtzeitig zurück?«
»Man weiß, daß ich schon ein-oder zweimal verschlafen habe«, gab Ivan zu.
»Und was geschieht dann?«
»Man wird aufgespürt. ›Guten Morgen, Leutnant Vorpatril, das ist Ihr Weckruf.‹« Galenis präziser, sarkastischer Akzent kam in Ivans Parodie deutlich durch. Es mußte sich um ein direktes Zitat handeln.
»Glaubst du dann, daß Galeni der Typ ist, der eine Regel für seine Untergebenen aufstellt und eine andere für sich selbst?«
»Nein«, sagten Ivan und der Botschafter unisono und schauten sich von der Seite an.
Miles holte tief Luft, reckte sein Kinn und zeigte auf das Holovid. »Öffnen Sie die Datei.«
Der Botschafter schürzte die Lippen und tat, was Miles verlangte.
»Das darf doch nicht wahr sein«, wisperte Ivan, nachdem sie ein paar Minuten lang die Datei durchgeschaut hatten. Miles schob sich mit den Ellbogen in die Mitte und begann ernsthaft mit Schnellesen. Die Datei war enorm umfangreich: endlich hatten sie Galenis fehlende Familiengeschichte vor sich.
David Galen war sein Geburtsname gewesen. Es handelte sich
um jene Familie Galen, die Besitzer des Galen-Orbit-Umlade-und Lager-Kartells gewesen war, ein starkes Mitglied der Oligarchie mächtiger Familien, die Komarr beherrscht hatten, das auf seinen 142
wichtigen Wurmlochverbindungen saß wie alte Raubritter am
Rhein. Seine Wurmlöcher hatten Komarr reich gemacht; diese
Macht und der Wohlstand, der durch sie strömte, hatten Komarrs von juwelengleichen Kuppeln überwölbte Städte geschaffen; sie waren nicht durch harte, schweißtreibende Arbeit dem leblosen, unfruchtbaren Boden des Planeten abgerungen worden.
Miles konnte fast die Stimme seines Vaters hören, wie er die Punkte aufzählte, die die Eroberung von Komarr zu Admiral
Vorkosigans Lehrbuchkrieg gemacht hatten. Eine geringe Bevölkerung, konzentriert in klimakontrollierten Städten; kein Platz für Guerilla-Kämpfer zum Rückzug und zur Neuformierung. Keine Verbündeten; wir mußten nur verkünden, daß wir ihren
25%-Anteil an allem, was ihre Wurmlöcher passierte, auf 15%
reduzieren würden, und schon hatten wir ihre Nachbarn, die ihnen eigentlich hätten helfen sollen, auf unserer Seite. Die Komarraner wollten nicht einmal für sich selber kämpfen, bis die Söldner, die sie angeheuert hatten, sahen, mit wem sie es zu tun hatten, und davonliefen …
Der unausgesprochene Kern der Sache war natürlich das
Verbrechen der komarranischen Väter der vorhergehenden Generation, die von den Cetagandanern Bestechungen angenommen und deren Invasionsflotte die Passage durch die Wurmlöcher gestattet hatten, worauf die Cetagandaner zur schnellen und leichten Eroberung des armen, halbfeudalen, erst kürzlich wiederentdeckten Barrayar ansetzten. Dieses Unternehmen hatte sich jedoch als weder schnell noch leicht erwiesen und war auch zu keiner Eroberung geworden; zwanzig Jahre und Ströme von Blut später hatte sich das letzte Kriegsraumschiff der Cetagandaner auf demselben Weg über das ›neutrale‹ Komarr wieder zurückgezogen.
Die Barrayaraner mögen rückständig gewesen sein, aber niemand konnte ihnen vorwerfen, daß sie langsam lernten. Unter der Generation von Miles' Großvater, die aus der harten Schule der cetagandanischen Besetzung zur Macht kam, war eine besessene Entschlossenheit gewachsen, daß eine solche Intervention nie 143
wieder vorkommen dürfe. Der Generation von Miles' Vater war es zugefallen, die Besessenheit in Taten umzuwandeln, indem man absolut und endgültig die Kontrolle über Barrayars komarranischen Zugang übernahm.
Das erklärte Ziel der barrayaranischen
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