Vorkosigan 10 Grenzen der Unendlichkeit
»Das«, sagte er deutlich, »macht eine größere Änderung in den Plänen erforderlich.«
Er rappelte sich hoch und ging wieder auf die Suche nach Suegar.
Miles fand ihn nicht weit entfernt. Er saß am Boden und malte in den Staub. Mit einem kurzen Lächeln blickte Suegar auf. »Hat Oliver dich zu – zu deinem Cousin gebracht?«
»Ja, aber ich bin zu spät gekommen. Er liegt im Sterben.«
»Hm … ich hatte befürchtet, daß dies der Fall sein würde. Tut mir leid.«
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»Ich hatte es auch befürchtet.« Einen Moment lang lenkte die Neugierde Miles von seinem Vorhaben ab. »Suegar, was macht man hier drinnen eigentlich mit Leichen?«
»Es gibt eine Art Müllhaufen, drüben an einer Seite der Kuppel.
Die Kuppel baucht sich von Zeit zu Zeit
und verschluckt ihn irgendwie, auf die gleiche Art, wie Nahrung und neue Gefangene hereingebracht werden. Wenn eine Leiche aufquillt und zu stinken beginnt, dann schleppt sie gewöhnlich einer dort rüber. Ich mache das auch manchmal.«
»Es gibt wohl keine Chance, daß sich jemand in dem Müllhaufen nach draußen schleicht?«
»Bevor sich die Pforte öffnet, wird der Müll mit Mikrowellen verbrannt.«
»Ach so.« Miles holte tief Atem und sagte: »Suegar, es ist mir jetzt klar geworden. Ich bin der andere Eine.«
Suegar nickte gelassen. Er war nicht überrascht. »Das hatte ich mir schon gedacht.«
Miles schwieg verwirrt. War das die ganze Reaktion …? Er hatte etwas Energischeres erwartet, entweder dafür oder dagegen. »Es ist mir in einer Vision aufgegangen«, erklärte er dramatisch und folgte dabei jedenfalls seinem Drehbuch.
»Ach, ja?« Suegars Aufmerksamkeit nahm erfreulich zu. »Ich hatte noch nie eine Vision«, fügte er neidisch hinzu. »Ich mußte es alles aus dem Zusammenhang herausfinden, weißt du. Wie ist eine Vision? Wie eine Trance?«
Mist, und ich hatte gedacht, der Kerl spräche mit Elfen und Engeln … Miles nahm sich etwas zurück. »Nein, sie ist wie ein Gedanke, nur zwingender. Sie stürmt über den Willen hinweg –
brennt wie Lust, ist nur nicht so leicht zu befriedigen. Nicht wie eine Trance, denn sie treibt einen nach außen, nicht nach innen.«
Er zögerte beunruhigt, denn er hatte mehr von der Wahrheit ausgesprochen, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
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Suegar blickte sehr ermutigt drein. »Oh, gut. Eine Sekunde lang hatte ich gefürchtet, du seiest einer von den Typen, die mit Leuten reden, die keiner sehen kann.«
Miles blickte unwillkürlich nach oben, dann richtete er seinen Blick wieder direkt auf Suegar.
»… also das ist eine Vision. Na ja, so ging es mir auch.« Sein Blick schien sich zu fokussieren und intensiver zu werden.
»Hattest du sie nicht an dir selbst erkannt?«, fragte Miles sanft.
»Nicht unter diesem Namen … es ist nicht angenehm, auf diese Art ausgewählt zu werden. Ich habe lange Zeit versucht, dem zu entgehen, aber Gott findet Wege, um mit den Drückebergern fertigzuwerden.«
»Du bist zu bescheiden, Suegar. Du glaubst an deine Schrift, aber nicht an dich selbst. Weißt du nicht, daß man mit einer Aufgabe auch die Kraft bekommt, sie zu erfüllen?«
Suegar seufzte mit freudiger Befriedigung. »Ich wußte, daß es eine Aufgabe für zwei ist. Es ist genau so, wie die Schrift es sagt.«
»Ah, ganz recht. Also sind wir jetzt zu zweit. Aber wir müssen mehr sein. Am besten fangen wir mit deinen Freunden an.«
»Das wird nicht lange dauern«, sagte Suegar bitter. »Du denkst auch an einen zweiten Schritt, hoffe ich.«
»Dann fangen wir mit deinen Feinden an. Oder mit deinen
Grußbekanntschaften. Wir fangen mit dem allerersten an, der uns über den Weg läuft. Es ist egal, wo wir anfangen, denn ich habe vor, am Ende alle zu haben. Alle, bis zum letzten und geringsten.«
Ein besonders passendes Zitat schoß ihm durch den Kopf, und er deklamierte lebhaft: »›Wer Ohren hat, der höre.‹ Alle.« Damit schickte Miles ein echtes Gebet aus seinem Herzen zum Himmel.
»Okay«, Miles zog Suegar auf die Beine, »gehen wir und predigen wir den Unbekehrten.«
Plötzlich lachte Suegar. »Ich hatte mal einen Spieß, der pflegte zu sagen: ›Gehen wir und treten wir einem in den Arsch‹, und das in genau dem gleichen Ton.«
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»Das auch.« Miles zog eine Grimasse. »Du verstehst, die allgemeine Mitgliedschaft in dieser Gemeinde wird nicht ganz freiwillig kommen. Aber Du überläßt das Anwerben der Neuen mir, ja?«
Suegar strich über seine Barthaare und betrachtete Miles mit gerunzelter Stirn. »Ein
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