Vorkosigan 10 Grenzen der Unendlichkeit
Lefzen und blutigen Händen erstarrte sie ebenso wie er.
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Mit einer krampfartigen Bewegung zog Miles den zerdrückten Essensriegel aus seiner Hosentasche und reichte ihn ihr mit der ausgestreckten Hand. »Nachspeise?«, sagte er mit einem hysterischen Lächeln.
Sie ließ die abgenagte Ratte fallen, schnappte den Riegel aus seiner Hand, riß die Verpackung ab und verschlang ihn. Dann trat sie auf ihn zu, packte ihn am Arm und an dem schwarzen T-Shirt und hob ihn hoch. Die Klauen stachen ihm in die Haut; seine Füße baumelten in der Luft. Ihr Atem roch etwa so, wie er es vermutet hatte. Ihre Augen waren gerötet. »Wasser!«, krächzte sie.
Keiner hat mir gesagt, daß sie spricht!
»Hm, hm – Wasser«, ächzte Miles. »Ganz richtig. Hier sollte es irgendwo Wasser geben – schau mal da oben, die Decke, all diese Rohre. Wenn du mich herunterläßt, liebes Mädchen, dann werde ich versuchen, ein Wasserrohr oder so was ausfindig zu machen …«
Langsam setzte sie ihn wieder auf die Füße und ließ ihn los. Er zog sich vorsichtig zurück und streckte die offenen Hände aus. Er räusperte sich und bemühte sich wieder um einen leisen, besänftigenden Ton. »Versuchen wir’s da drüben. Die Decke wird dort niedriger, das heißt, der Felsen steigt dort an … dort drüben, neben dieser Leuchttafel, da, die dünnen Plastikrohre –Weiß ist für gewöhnlich der Farbcode für Wasser. Wir wollen nicht Grau, das ist Abwasser, oder Rot, das ist die Energie-Optik …« Ganz egal, was sie davon verstand, bei solchen Kreaturen kam es auf den Ton an.
»Wenn du … hm … mich auf deinen Schultern hochheben könntest, dann könnte ich vielleicht dort diese Verbindung lockern …«
Er gestikulierte pantomimisch und war sich dabei unsicher, was davon überhaupt zu der Intelligenz durchdrang, die vielleicht hinter diesen schrecklichen Augen liegen mochte.
Die blutigen Hände, leicht doppelt so groß wie seine eigenen, packten ihn abrupt bei den Hüften und hoben ihn hoch. Er umklammerte das weiße Rohr und ruckte Zentimeter um Zentimeter vor zu einer Schraubverbindung. Ihre kräftigen Schultern unter seinen Füßen bewegten sich mit ihm mit. Ihre Muskeln bebten, 175
nicht alles Zittern kam von ihm selbst. Die Verbindung war fest zugedreht – er brauchte Werkzeug – er drehte mit aller Kraft daran, und begab sich in die Gefahr, daß seine spröden Fingerknochen brachen. Plötzlich quietschte das Verbindungsstück und bewegte sich. Es gab nach, der Ring bewegte sich, Wasser begann zwischen seinen Fingern zu spritzen. Noch eine Drehung, und die Verbindung löste sich. Wasser strömte in einem hellen Bogen auf den Felsen hinab.
In ihrer Hast ließ sie ihn fast fallen. Sie brachte ihren weit aufgerissenen Mund unter den Wasserstrahl, ließ das Wasser direkt in den Mund und über das Gesicht plätschern, hustete dabei und war noch gieriger bei der Sache als beim Fressen der Ratte. Sie trank und trank und trank. Sie ließ das Wasser über ihre Hände fließen, über das Gesicht und den Kopf, wusch das Blut ab und trank dann noch mehr. Miles glaubte schon fast, sie würde nie mehr aufhören, aber schließlich trat sie vom Wasser zurück, schob sich das nasse Haar aus den Augen und starrte auf ihn herab. Sie starrte ihn fast eine ganze Minute lang an, dann schrie sie plötzlich: »Kalt!«
Miles fuhr zusammen. »Ach so … kalt … ja, richtig. Mir ist auch kalt, meine Socken sind naß. Wärme, du möchtest Wärme haben.
Laß mal sehen. Hm, versuchen wir’s mal dort hinten, wo die Decke noch niedriger ist. Hier hat es keinen Zweck, die Wärme würde sich bloß dort oben sammeln, das würde nichts nützen …«
Sie folgte ihm mit der Aufmerksamkeit einer Katze, die eine …
nun ja… Ratte verfolgte, während er um die Säulen herum dorthin schlitterte, wo der Boden sich so weit hob, daß wirklich nur noch Raum zum Kriechen war, etwa vier Fuß hoch. Dort befand sich das niedrigste Rohr, das er finden konnte. »Wenn wir das öffnen könnten«, er zeigte auf ein Plastikrohr, das etwa den gleichen Umfang hatte wie seine Taille, »das ist voll mit heißer Luft, die da unter Druck durchgepumpt wird. Diesmal gibt es aber keine
praktischen Verbindungsstücke.« Er starrte das Rohr an und versuchte eine Lösung des Rätsels zu finden. Dieses Plastik war au
ßerordentlich hart.
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Sie kauerte sich hin und zog an dem Rohr, dann legte sie sich auf den Rücken und stieß mit den Füßen dagegen, schließlich schaute sie ihn traurig
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