Vorkosigan 10 Grenzen der Unendlichkeit
an.
»Versuch es mal so!« Nervös nahm er ihre Hand, führte sie zu dem Rohr und ließ sie mit ihren harten Fingernägeln lange Kratzer um das Rohr ziehen. Sie kratzte und kratzte, dann schaute sie ihn wieder an, als wollte sie sagen: Das funktioniert nicht!
»Versuch jetzt wieder zu stoßen und zu ziehen«, schlug er vor.
Sie wog wohl dreihundert Pfund, und beim nächsten Versuch
setzte sie ihr ganzes Gewicht ein, stieß zuerst mit den Füßen zu, dann packte sie das Rohr, stemmte ihre Füße gegen die Decke und zog mit aller Kraft am Rohr. Es brach entlang den Kratzlinien. Sie fiel mit dem Rohr auf den Boden; heiße Luft zischte heraus. Sie hielt die Hände und das Gesicht in die warme Luft, setzte sich auf die Fersen und ließ die Wärme über sich hinwegwehen. Miles kauerte sich hin, zog die Socken aus und legte sie zum Trocknen auf das warme Rohr. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit zum Wegrennen gewesen, wenn nur gewußt hätte, wohin. Aber er zögerte, seine Beute aus den Augen zu lassen. Seine Beute? Er dachte an den unschätzbaren Wert ihres linken Wadenmuskels, während sie auf dem Felsen saß und das Gesicht zwischen den Knien verbarg.
Keiner hat mir gesagt, daß sie weint.
Er holte sein Armeetaschentuch heraus, ein altertümliches Stoffquadrat. Er hatte nie den Grund verstanden, weshalb die Soldaten mit diesem Taschentuch ausgestattet wurden, außer vielleicht, daß es dort, wohin die Soldaten gingen, Tränen gab. Er reichte es ihr.
»Hier. Trockne dir die Augen damit!«
Sie nahm es, schneuzte ihre große, flache Nase damit und wollte es ihm zurückgeben.
»Behalt es«, sagte Miles. »Ach … wie heißt du eigentlich?«
»Neun«, knurrte sie. Nicht feindselig, es war einfach nur die Art, wie ihre angespannte Stimme aus dieser großen Kehle klang. »Wie heißt du?«
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Du lieber Himmel, ein vollständiger Satz. Miles blinzelte.
»Admiral Miles Naismith.« Er ließ sich mit überkreuzten Beinen nieder.
Sie blickte auf, wie versteinert. »Ein Soldat? Ein echter Offizier?« Und dann voller Zweifel, als sähe sie ihn zum erstenmal genau: »Du?«
Miles räusperte sich entschlossen. »Ganz recht. Bloß habe ich im Augenblick etwas Pech«, gab er zu.
»Ich auch«, sagte sie düster und schniefte. »Ich weiß nicht, wie lange ich schon in diesem Keller bin, aber jetzt habe ich zum erstenmal getrunken.«
»Drei Tage, glaube ich«, sagte Miles. »Hat man dir auch nichts zu Essen gegeben?«
»Nein.« Sie blickte zornig drein; angesichts ihrer Reißzähne war die Wirkung überwältigend. »Das hier ist schlimmer als alles, was sie mit mir im Labor gemacht haben, und ich hatte schon gedacht, dort wäre es schlimm.«
Das, was du nicht weißt, kann dich nicht verletzen, lautete die alte Redensart. Miles dachte an seinen Plankubus. Dann schaute er Neun an. Er stellte sich vor, wie er den sorgfältig ausgearbeiteten Strategieplan für diese ganze Mission zart zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und ihn in einen Müllschlucker warf. Er dachte an die Rohrleitungen in der Decke. Neun würde da nie durchpassen …
Sie strich sich mit ihren Klauen das Haar aus dem Gesicht und starrte ihn mit neu erwachter Wildheit an. Ihre Augen waren von einem seltsam hellen Haselnußbraun, was den wölfischen Eindruck noch erhöhte. »Was tust du wirklich hier? Ist das wieder ein Test?«
»Nein, das ist das echte Leben.« Miles Lippen zuckten. »Ich …
äh … habe einen Fehler gemacht.«
»Ich glaube, ich auch«, sagte sie und neigte den Kopf.
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Miles zog an seiner Unterlippe und musterte sie mit
zusammengekniffenen Augen. »Ich überlege, was für eine Art Leben du gehabt hast«, sagte er, halb zu sich selbst.
Sie ging auf seine Frage buchstäblich ein. »Ich habe bei gemieteten Pflegeeltern gelebt, bis ich acht war. Wie es die Klons tun.
Dann fing ich an, groß und schwerfällig zu werden – da brachte man mich ins Labor, damit ich dort lebte. Es war in Ordnung, ich hatte es warm und jede Menge zu Essen.«
»Wenn man ernsthaft vorhatte, aus dir einen Soldaten zu machen, dann kann man dich nicht zu … einfach gemacht haben. Wie hoch ist wohl dein IQ?« überlegte er laut.
»135.«
Miles war wie vor den Kopf geschlagen. »Ich … verstehe. Hast du je … eine Ausbildung bekommen?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe eine Menge Tests gemacht. Sie waren … OK. Außer bei den Aggressionsexperimenten. Ich hasse Elektroschocks.« Sie dachte kurz nach. »Ich mag auch keine Experimentalpsychologen. Die erzählen
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