Vorkosigan 11 Spiegeltanz
handelte sich um eine hübsche kleine Lobby, die elegant möbliert war, doch eher im Stil eines Geschäftsraums als einer Wohnung, mit Topfpflanzen und einer Rezeption. Niemand war da.
Nichts rührte sich. Aber hier gab es endlich Fenster und durchsichtige Türen. In ihnen spiegelte sich dunkel der Innenraum; draußen war es Nacht. Er stützte sich auf das Pult der Komkonsole.
Haupttreffer! Hier gab es nicht nur einen Ort, wo er sich hinsetzen konnte, sondern auch Daten im Überfluß … verdammt. Die
Konsole hatte ein Handflächenschloß und würde sich für ihn nicht einmal einschalten lassen. Es gab Methoden, um ein Handflächenschloß zu überlisten – wie wußte er …? –, die fragmentarischen Bilder explodierten vor seinem inneren Auge wie Schwärme von Elritzen, und es gelang ihm nicht, ihrer habhaft zu werden. Er mußte fast weinen über die Nutzlosigkeit der Konsole und saß auf dem Stuhl, den allzu schweren Kopf auf die Arme gelegt, vor der leeren Vid-Scheibe, die nichts hergab.
Er zitterte. Mein Gott, ich hasse Kälte. Er schwankte zur Glastür hinüber. Draußen schneite es. Winzige funkelnde Pünktchen wurden schräg durch den weißen Bogen eines Flutlichts gepeitscht.
Auf nackter Haut würden sie hart sein und zischen und stechen.
Eine seltsame Vision von einem Dutzend nackter Männer, die zitternd in einem mitternächtlichen Schneesturm standen, huschte vor seinem inneren Auge vorbei, doch er konnte mit der Szene keine Namen verbinden, nur das Gefühl eines schrecklichen Unheils. War er so gestorben, in Wind und Schnee erfroren? Kürzlich, irgendwo in der Nähe?
Ich bin tot gewesen. Diese Erkenntnis kam ihm zum erstenmal, ein Schock, der in seinem Bauch explodierte und von dort nach draußen strahlte. Durch den dünnen Stoff seines Hemdes hindurch 467
verfolgte er die schmerzenden Narben auf seinem Rumpf. Und jetzt fühle ich mich auch nicht sonderlich gut. Er kicherte. Ein Geräusch, das so fehl am Platz war, daß es sogar in seinen eigenen Ohren störend klang. Er hielt sich die Faust vor den Mund. Bisher hatte er anscheinend noch keine Zeit gehabt, Angst zu haben, denn die nachwirkende Welle des Schreckens warf ihn auf die Knie.
Dann auf die Hände und Knie. Seine Hände zitterten vor Kälte. Er begann zu kriechen.
Er mußte irgendeinen Sensor ausgelöst haben, denn die durchsichtige Tür öffnete sich zischend. O nein, diesen Fehler würde er nicht noch einmal begehen und sich in die Dunkelheit draußen aussperren zu lassen. Er begann zurückzukriechen. Seine Sicht wurde verschwommen, und irgendwie drehte es sich herum. Eisiger Beton anstatt glatter Fliesen unter den Händen warnte ihn vor seinem Fehler. Etwas schien mit einem häßlichen summenden Geräusch seinen Kopf zu packen, halb Anprall, halb Schlag. Er wurde heftig zurückgestoßen und roch versengtes Haar. Fluoreszierende Muster drehten sich vor seinen Augen. Er versuchte zurückzuweichen, brach aber über der Türrille in einer Pfütze aus Eiswasser und einem schleimigen orangefarbenen Brei zusammen.
Nein, verdammt noch mal, nein, ich möchte nicht wieder erfrieren …! Voll verzweifelter Abscheu rollte er sich zusammen.
Stimmen ertönten, Alarmrufe, Schritte, Geplapper. Warme, herrlich warme Hände zogen ihn von dem tödlichen Portal zurück.
Ein paar Frauenstimmen und die eines Mannes: »Wie ist er hier hochgekommen?« – »… hätte nicht rauskommen dürfen.« – »Ruf Rowan. Weck sie auf …« – »Er sieht schrecklich aus.« – »Nein«, eine Hand drehte sein Gesicht an den Haaren ins Licht, »so sieht er immer aus. Du weißt es ja nicht.«
Das Gesicht, das zu dieser Hand gehörte, schwebte über dem seinen, streng und besorgt. Es handelte sich um Rowans Assi468
stenten, den jungen Mann, der ihm das Beruhigungsmittel verpaßt hatte. Er war ein schlanker Kerl mit eurasischen Zügen und einem markanten Nasenrücken. Verrückterweise stand auf seiner blauen Jacke R. Durona. Aber nicht Dr. R. Also nennen wir ihn … Bruder Durona. Der junge Mann sagte gerade: »… gefährlich. Es ist unglaublich, daß er in diesem Zustand durch unsere Sicherheitssperren gekommen ist.«
»Kein' Sich'eit.« Wörter! Sein Mund brachte Wörter hervor!
»Feue'schutz.« Und nachdenklich fügte er hinzu: »Dummko'f.«
Das Gesicht des jungen Mannes zuckte verdutzt und beleidigt zurück. »Redest du mit mir, Kurzschluß?«
»Er redet!« Jetzt erschien das Gesicht seiner Dr. Durona über ihm; ihre Stimme erregte ihn. Er hatte sie
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