Vorkosigan 11 Spiegeltanz
sie? Er hatte die letzten zwei Stunden damit zugebracht, ihr ihre ganze Lebensgeschichte zu entlocken, und da schien es nicht sehr viel zu erzählen zu geben. Ihr Gerede bot eine seltsame Mischung aus Schlauheit und Naivität. Das größte Abenteuer ihres Lebens war ihre kurze Entführung durch die Dendarii-Söldner gewesen.
Rowan. Sie hat es nach draußen geschafft. Was dann? Würde sie zurückkommen, ihn zu holen? Wie? Sie befanden sich hier auf Jackson's Whole. Hier konnte man niemandem trauen. Menschen waren hier Fleisch. Wie dieses Mädchen da vor ihm. Er hatte plötzlich ein alptraumhaftes Bild von ihr, mit leerem Schädel und ausdruckslosen Augen.
»Tut mir leid«, flüsterte er. »Du bist so schön … innen. Du verdienst es, zu leben. Nicht von dieser alten Frau aufgefressen zu werden.«
»Meine Herrin ist eine große Frau«, sagte sie hartnäckig. »Sie verdient es, länger zu leben.«
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Welche Art verdrehter Ethik trieb Lotus Durona dazu, dieses Mädchen zu einem zur Nachahmung bereiten Opfer zu machen?
Wen glaubte Lotus zu narren? Nur sich selbst, offensichtlich.
»Außerdem«, sagte Lilly die Jüngere, »dachte ich, du mochtest diese dicke Blondine. Du hast auf ihr herumgezappelt.«
»Wer?«
»Oh, schon gut. Das muß dein Klonzwilling gewesen sein.«
»Mein Bruder«, korrigierte er automatisch. Was war mit dieser Geschichte, Mark?
Sie entspannte sich allmählich und fand sich mit ihrer seltsamen Gefangenschaft ab. Und sie langweilte sich. Sie schaute ihn abwägend an. »Würdest du mich noch einmal küssen?«, fragte sie.
Es war seine Größe. Die weckte das Tier in den Frauen. Sich unbedroht fühlend, wurden sie kühn. Normalerweise betrachtete er dies als einen sehr erfreulichen Effekt, aber dieses Mädchen beunruhigte ihn. Sie war nicht seines … gleichen. Aber er mußte die Zeit totschlagen, sie hier drinnen halten, sie so lang wie möglich unterhalten. »O ja … mit Vergnügen.«
Nach etwa zwanzig Minuten zahmen und schicklichen Schmusens, wich sie zurück und bemerkte: »Das ist nicht so, wie der Baron es macht.«
»Was machst du für Vasa Luigi?«
Sie kniete nieder, öffnete seine Hose, holte sein halb erigiertes Glied heraus und führte es ihm vor. Nach etwa einer Minute würgte er hervor: »Halt!«
»Gefällt es dir nicht? Dem Baron gefällt es.«
»Da bin ich mir sicher.« Schrecklich erregt stopfte er sein Glied in die Hose zurück, floh auf den Stuhl neben dem kleinen Eßtisch 601
und kauerte sich darauf zusammen. »Das ist sehr schön, Lilly, aber zu ernst für dich und mich.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ganz genau deshalb.« Sie war ein ahnungsloses Kind, trotz ihres erwachsenen Körpers, dessen war er sich zunehmend sicher.
»Wenn du älter sein wirst … wirst du deine eigenen Grenzen finden. Und du kannst dann Leute einladen, sie zu überschreiten, wie es dir gefällt. Im Augenblick weißt du kaum, wo du aufhörst und wo die Welt beginnt. Verlangen sollte von innen kommen, und nicht von außen aufgezwungen sein.« Er versuchte sein eigenes Verlangen mit schierer Willenskraft zu unterdrücken – mit nur halbem Erfolg. Vasa Luigi, du elender Drecksack!
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich werde nicht älter sein.«
Er schlang die Arme um die hochgezogenen Knie und schauderte.
Verdammt!
Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er Sergeantin Taura zum erstenmal begegnet war. Wie sie Liebende geworden waren, in jener Stunde der Verzweiflung. Ach, wieder war er in den Hinterhalt der Fallgruben seines Gedächtnisses geraten. Es gab gewisse offensichtliche Parallelen zu seiner derzeitigen Situation; das mußte der Grund sein, weshalb sein Unterbewußtsein versuchte, die alte, erfolgreiche Lösung anzuwenden. Aber Taura war eine biotechnische erzeugte Mutation mit kurzer Lebensdauer. Die Dendarii-Mediziner hatten ihr mit Anpassungen ihres Metabolismus ein wenig mehr Zeit verschafft, aber nicht viel. Jeder Tag war für sie ein Geschenk, jedes Jahr ein Wunder. Sie lebte ihr ganzes Leben nach der Devise Sehen und zupacken – und er war von Herzen damit einverstanden. Lilly die Jüngere könnte hundert Jahre alt werden, wenn sie nicht … ausgeschlachtet würde. Sie mußte zum Leben verführt werden, nicht zum Sex.
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Wie Rechtschaffenheit, so war Liebe zum Leben nicht ein Gegenstand von Untersuchungen, sondern eine Ansteckung, die man abbekommen mußte. Und man mußte sie von jemandem abbekommen, der schon damit angesteckt war. »Möchtest du nicht leben?«,
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