Vorkosigan 11 Spiegeltanz
fragte er sie.
»Ich … weiß es nicht.«
»Ich schon. Ich möchte leben. Und glaub mir, ich habe die Alternative gründlich erwogen.«
»Du bist ein … komischer, kleiner, häßlicher Mann. Was kannst du schon vom Leben bekommen?«
»Alles. Und ich bin entschlossen, noch mehr zu bekommen.« Ich möchte … ich möchte Reichtum, Macht, Liebe. Siege, glänzende, brillante Siege, deren Glanz sich in den Augen seiner Kameraden spiegelte. Eines Tages auch eine Ehefrau und Kinder. Eine Horde Kinder, groß und gesund, um denjenigen, die immer Mutant! geflüstert hatten, das Maul zu stopfen, bis ihnen die Augen aus dem Kopf traten. Und ich bin entschlossen, einen Bruder zu haben.
Mark. Jawohl. Der mürrische kleine Kerl, den möglicherweise gerade jetzt Baron Ryoval Faser um Faser auseinandernahm. An Miles' Stelle. Seine Nerven waren so angespannt, daß er hätte schreien können, und es gab keine Erlösung. Ich muß Zeit schinden.
Schließlich überredete er Lilly die Jüngere, sich schlafen zu legen, eingewickelt in die Decken auf Rowans Seite des Bettes.
Ritterlich nahm er den Stuhl. Nach ein paar Nachtstunden litt er Qualen. Er versuchte es mit dem Boden. Der war kalt. Seine Brust schmerzte. Er fürchtete sich davor, mit einem Husten zu erwachen.
Schließlich kroch er ins Bett, legte sich auf die Decken und rollte sich zusammen, das Gesicht von ihr abgewandt. Er war sich ihres Körpers intensiv bewußt. Das Umgekehrte galt offensichtlich 603
nicht. Seine Sorgen waren um so größer, weil er so formlos war. Er hatte gar nichts unter Kontrolle. Gegen Morgen erwärmte er sich endlich genügend, um einzudösen.
»Rowan, meine Liebe«, murmelte er benommen, schmiegte sich in ihr duftendes Haar und wickelte sich um ihren warmen, langen Leib. »Meine Lady.« Ein barrayaranischer Ausdruck – jetzt wußte er endlich, woher dieses ›Mylady‹ kam. Sie zuckte zusammen; er schreckte zurück. Sein Bewußtsein kehrte zurück. »Ach! Entschuldigung.«
Lilly die Jüngere setzte sich auf und schüttelte die Umarmung des häßlichen kleinen Mannes ab. Sein Gefummel. »Ich bin nicht Mylady!«
»Entschuldigung, ich habe mich getäuscht. Ich denke in meinem Kopf von Rowan als Mylady. Sie ist meine Lady, und ich bin ihr …« – Hofnarr – »Ritter. Ich bin wirklich ein Soldat, weißt du.
Obwohl ich so klein bin.«
Beim zweiten Klopfen an der Tür erkannte er, was ihn geweckt hatte. »Das Frühstück. Schnell! Ins Bad. Klapper da drin herum.
Ich bin sicher, wir können das noch eine Runde lang durchhalten.«
Diesmal versuchte er nicht, die Wachen in Gespräche zu verwickeln, die zu Bestechung führen sollten. Lilly die Jüngere kam wieder heraus, als sich die Tür wieder hinter dem Diener geschlossen hatte. Sie aß langsam und unschlüssig, als bezweifelte sie ihr Recht auf Nahrung. Er beobachtete sie, zunehmend fasziniert. »Hier, nimm noch dieses Brötchen. Du kannst Zucker daraufstreuen, weißt du.«
»Ich darf keinen Zucker essen.«
»Du solltest Zucker nehmen.« Er machte eine Pause. »Du solltest alles haben. Du solltest Freunde haben. Du solltest … Schwestern 604
haben. Du solltest eine Erziehung bekommen, die deine Geisteskräfte bis an ihre Grenzen fordert, und eine Arbeit, die deinen Geist herausfordert. Arbeit macht dich größer. Wirklicher. Du nimmst sie in dich auf und wächst. Du solltest Liebe haben. Deinen eigenen Ritter. Einen viel größeren als mich. Du solltest …
Eiskrem bekommen.«
»Ich darf nicht dick werden. Meine Herrin ist mein Schicksal.«
»Schicksal! Was weißt du über Schicksal?« Er stand auf und begann im Zickzack zwischen Bett und Tisch herumzugehen. »Ich bin ein ausgesprochener Experte für Schicksal. Deine Herrin ist ein falsches Schicksal, und weißt du, wie ich das weiß? Sie nimmt alles, aber sie gibt nichts zurück.
Ein wahres Schicksal nimmt alles – den letzten Blutstropfen aus deinen Adern – und gibt es doppelt zurück. Vierfach. Tausendfach!
Aber du kannst nichts Halbes geben. Du mußt alles geben. Ich weiß es. Das schwöre ich. Ich bin von den Toten zurückgekommen, um dir die Wahrheit zu sagen. Das wahre Schicksal gibt dir einen Berg an Leben und stellt dich auf den Gipfel.«
Seine Überzeugung kam ihm völlig größenwahnsinnig vor. Er liebte Augenblicke wie diesen.
»Du bist verrückt«, sagte sie und starrte ihn mißtrauisch an.
»Wie kannst du das wissen? Du bist in deinem ganzen Leben noch nie einem geistig gesunden Menschen begegnet. Oder? Denk mal
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