Vorkosigan 11 Spiegeltanz
gut, großer Bruder. Du bist jetzt entbehrlich, weißt du. Er fuhr mit der Hand über das helle Uniformtuch seiner Jacke und war sich nüchtern bewußt, was entbehrlich im militärischen Sinne auch hieß: dem Feind im Notfall zu opfern.
Doch von seinem Schüler geschlagen zu werden war der größte Sieg für einen Lehrer. Ein interessantes Paradoxon. Ich kann nicht verlieren.
Miles grinste. Ja, Mark. Fang mich, wenn du kannst. Wenn du kannst.
»Ah«, Mark zeigte mit einem Nicken auf einen Mann in der weinroten Uniform eines Vor-Hauses auf der anderen Seite des Raums. »Ist das nicht Lord Vorsmythe, der Industrielle?«
»Ja.«
»Ich hätte gerne mit ihm gesprochen. Kennst du ihn? Kannst du mich ihm vorstellen?«
»Sicher. Denkst du daran, mehr zu investieren?«
»Ja, ich habe mich entschlossen, zu diversifizieren. Zwei Drittel Investitionen auf Barrayar, ein Drittel in der Galaxis.«
»In der Galaxis?«
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»Ich investiere etwas in escobaranische Medizintechnik, falls du es wissen willst.«
»Lilly?«
»Genau. Sie braucht Startkapital. Ich werde stiller Teilhaber bei ihr.« Mark zögerte. »Die Lösung muß medizinisch sein, weißt du.
Und … möchtest du darauf wetten, daß sie keinen Profit macht?«
»Nö. Tatsächlich würde ich mich sehr hüten, gegen dich zu wetten.«
Mark zeigte sein schärfstes Lächeln. »Gut. Auch du lernst dazu.«
Miles führte Mark zu Lord Vorsmythe hinüber und stellte ihn vor, wie gewünscht. Vorsmythe war erfreut, daß er hier jemanden gefunden hatte, der wirklich mit ihm über seine Arbeit reden wollte. Der gelangweilte Ausdruck auf seinem Gesicht verflüchtigte sich bei Marks erster sondierender Frage. Mit einer Handbewegung gab Miles Mark frei. Vorsmythe gestikulierte mitteilsam. Mark lauschte ihm, als drehte sich in seinem Kopf ein Recorder. Miles überließ die beiden ihrem Gespräch.
Er entdeckte am anderen Ende des Raums Delia Koudelka und steuerte auf sie zu, um sich für später einen Tanz auszubitten und vielleicht Ivan auszustechen. Wenn er Glück hatte, dann würde sie ihm eine Chance geben, diesen Satz über die Duellnarben anzubringen.
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KAPITEL 33
Nach einer äußerst faszinierenden Plauderei über die Wachstumssektoren der barrayaranischen Wirtschaft wurde Vorsmythe wieder von seiner Frau in Anspruch genommen und aus der Fensternische weggeholt, die er und Mark besetzt hatten. Er trennte sich nur widerstrebend von Mark und versprach, ihm einige Prospekte zu schicken. Mark sah sich wieder nach Miles um. Der Graf war nicht der einzige Vorkosigan, der sich an diesem Abend in der Gefahr befand, bei dem Versuch, diversen Beobachtern seine Gesundheit zu beweisen, des Guten zuviel zu tun.
Mark war Miles' Mitwisser bei den Selbsttests geworden, von denen Miles seinen Vorgesetzten beim Kaiserlichen Sicherheitsdienst nichts mitteilen wollte und bei denen er alte Wissensgrundlagen überprüfte und alte Dinge durchging, von den Militärvorschriften bis zu fünfdimensionaler Mathematik. Mark hatte genau einmal darüber gewitzelt, bevor er erkannt hatte, wie tief der Schrecken war, der Miles zu diesem besessenen Sondieren trieb.
Besonders, wenn sie tatsächlich das eine oder andere Loch in Miles' Gedächtnis fanden. Dieses neue Zögern, dieser verzweifelte Unterschied beunruhigten Mark an seinem großen Bruder zutiefst.
Er hoffte, daß Miles' verhaßtes Selbstbewußtsein bald wiederkehren würde. Es war eine andere seltsame Wechselseitigkeit, daß Miles Dinge hatte, an die er sich erinnern wollte und nicht konnte, während Mark sich an Dinge erinnerte, die er vergessen wollte.
Und nicht konnte.
Er würde Miles ermuntern müssen, ihn noch mehr herumzuführen. Miles genoß es, den Experten zu spielen; es versetzte ihn automatisch in die Situation, dem anderen eine Nasenlänge voraus zu sein, und nach der war er süchtig. Ja, er würde Miles sein 704
übersteigertes Selbstbewußtsein ein bißchen ausdehnen lassen.
Jetzt konnte Mark es sich leisten. Er würde Miles ein andermal herausfordern, wenn Miles wieder in Fahrt war. Wenn es fairer war.
Schließlich hüpfte Mark auf einen Stuhl und reckte den Hals nach seinem Bruder. Er entdeckte ihn, wie er gerade in Gesellschaft einer blonden Frau in einem blauen Samtkleid die Empfangshalle verließ – Delia Koudelka, Kareens größte Schwester.
Sie sind hier. Du lieber Himmel. Er ließ den Stuhl stehen und begab sich auf eine schnelle Suche nach der Gräfin. Er spürte sie schließlich in einem Salon im zweiten
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