Vorkosigan 11 Spiegeltanz
Krankheit irrtümlich für Übelkeit wegen fehlender Schwerkraft und der Flugbewegung hielt, da er anscheinend selbst an einer solchen leichten Schwäche litt. Der Mann klatschte prompt und fröhlich ein Anti-Brechreiz-Pflaster aus der Bordapotheke auf Marks Hals.
Das Pflaster hatte auch eine gewisse sedative Wirkung. Marks Herzfrequenz verringerte sich, eine Wirkung, die anhielt, bis sie landeten und in einen abgeschlossenen Bodenwagen umstiegen.
Die Vordersitze nahmen ein Wächter und ein Chauffeur ein. Mark saß Bothari-Jesek gegenüber im Fond und machte sich auf den letzten Abschnitt seiner alptraumhaften Reise gefaßt, der ihn vom militärischen Shuttlehafen außerhalb der Hauptstadt ins Herz von Vorbarr Sultana führen sollte. In das Zentrum des Kaiserreiches von Barrayar.
Erst als er spürte, daß er einen asthmaähnlichen Anfall erlitt, schaute Bothari-Jesek aus ihrer trübsinnigen Versunkenheit auf und nahm Marks Zustand zur Kenntnis.
»Was, zum Teufel, ist mir dir los?« Sie beugte sich vor und fühlte seinen rasenden Puls. Mark brach am ganzen Leib kalter Schweiß aus.
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»Mir ist schlecht«, keuchte er, und als sie ihn mit einem gereizten Blick ansah, der sagte: Das hätte ich auch selber herausgefunden, da gab er zu: »Ich habe Angst.« Er dachte, er hätte unter dem Feuer der Bharaputraner schon soviel Angst gehabt, wie ein Mensch nur haben konnte, aber das war nichts im Vergleich zu diesem langsam wachsenden Schrecken, in der Falle zu sitzen, und dieser sich in die Länge ziehenden erstickenden Hilflosigkeit, nichts mehr an seinem Schicksal ändern zu können.
»Wovor mußt du dich fürchten?«, fragte sie verächtlich. »Niemand wird dir etwas tun.«
»Kapitänin, man wird mich umbringen.«
»Wer? Lord Aral und Lady Cordelia? Wohl kaum. Wenn wir aus irgendeinem Grund Miles nicht wiederfinden, dann könntest du der nächste Graf Vorkosigan werden. Das hast du doch sicher einkalkuliert.«
In diesem Augenblick befriedigte er eine Neugierde, die ihn lange beschäftigt hatte. Als er gerade im Begriff war, umzukippen, begann seine Atmung in der Tat wieder automatisch. Er vertrieb mit Blinzeln den schwarzen Nebel vor seinen Augen und wehrte Bothari-Jeseks erschrockenen Versuch ab, seine Kleider zu lokkern und nach seiner Zunge zu sehen, um sicher zu sein, daß er sie nicht verschluckt hatte. Sie hatte sich für alle Fälle ein paar Anti-Brechreiz-Pflaster aus der Bordapotheke des Shuttles mitgenommen und hielt jetzt eins unsicher hoch. Mit drängenden Gesten forderte er sie auf, ihm das Pflaster anzulegen. Es half.
»Für wen hältst du eigentlich diese Leute?«, fragte sie verärgert, als seine Atmung wieder regelmäßiger wurde.
»Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir verdammt sicher, daß sie stocksauer auf mich sein werden.«
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Am schlimmsten war zu wissen, daß es nicht so schlimm hätte kommen müssen. Vor dem Debakel von Jackson's Whole hätte er theoretisch jederzeit hereinspazieren und Guten Tag sagen können.
Aber er hatte Barrayar zu seinen eigenen Bedingungen begegnen wollen. Es war wie ein Versuch, den Himmel zu stürmen. Sein Versuch, es besser zu machen, hatte es unendlich schlimmer gemacht.
Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn nachdenklich. »Du hast wirklich eine Heidenangst, nicht wahr?«, sagte sie in einem Ton der Erleuchtung, der ihn fast aufheulen ließ. »Mark, Lord Aral und Lady Cordelia entscheiden im Zweifelsfall ganz bestimmt zu deinen Gunsten. Das weiß ich. Aber du mußt auch deinen Teil beitragen.«
»Was ist mein Teil?«
»Da bin ich mir … nicht sicher«, gab sie zu.
»Danke. Du bist wirklich eine Hilfe.«
Und dann kamen sie an. Der Bodenwagen fuhr durch ein Tor auf das schmale Grundstück eines riesigen Herrenhauses aus Stein.
Die Bauweise aus dem Zeitalter der Isolation, vor Einführung der Elektrizität, ließ es, nach Marks Meinung, so sagenhaft alt erscheinen. Ähnliche Bauwerke, die er in London gesehen hatte, waren vor mehr als tausend Jahren errichtet worden. Dieses Gebäude war allerdings nur hundertfünzig Standardjahre alt. Palais Vorkosigan.
Das Verdeck wurde hochgeschwenkt. Mark taumelte hinter
Bothari-Jesek aus dem Bodenwagen. Diesmal wartete sie auf ihn.
Sie packte ihn fest am Oberarm. Entweder machte sie sich Sorgen, er würde zusammenbrechen, oder sie fürchtete, er wolle abhauen.
Durch angenehm sanftes Sonnenlicht traten sie in das kühle Zwielicht einer großen Eingangshalle mit einem schwarz-weiß 266
gemusterten
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