Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
aufbrach, so weit weg vom HQ wie möglich?
Ruhelos ging Miles im Hause hin und her, Erinnerungen gingen ihm durch den Kopf. Das hier war Elenas Zimmer gewesen. Die winzige Kammer dort drüben hatte Sergeant Bothari, ihrem Vater, gehört. Hier war die Stelle, wo Ivan durch das Sicherheitsgeländer geschlüpft und ein halbes Stockwerk gefallen war, wobei er sich den Kopf aufgeschlagen hatte, was keine erkennbaren Auswirkungen auf seinen Intellekt hinterlassen hatte. Man hatte gehofft, der Sturz hätte ihn klüger gemacht … Miles beschloß, zum Abendessen die Etikette einzuhalten. Er zog seine grüne Ausgehuniform an, zog alle Abdeckungen von den Möbeln im Prunkspeisezimmer ab und stellte seinen Wein neben ein passendes Kristallglas am Kopfende des meterlangen Tisches auf. Beinahe hätte er sich noch eine Servierplatte besorgt, doch dann fiel ihm ein, daß er sich den Aufwasch ersparen konnte, wenn er das Schnell-Mahl! direkt aus der Packung aß. Er ließ sich dabei von sanfter Musik berieseln. Abgesehen davon dauerte das Abendessen etwa fünf Minuten. Als er fertig war, legte er die Abdeckungen wieder pflichtbewußt auf das polierte Holz und die schönen Stühle.
Wenn ich die Dendarii hiergehabt hätte, dann hätte ich eine echte Party feiern können.
Elli Quinn. Oder Taura. Oder Rowan Durona. Oder sogar Elena, Baz und alle anderen. Bei Thorne, der ihm immer noch fehlte.
Alle zusammen. Irgend jemand. Die Vision, wie die Dendarii Palais Vorkosigan in Beschlag nahmen, erzeugte bei ihm ein Schwindelgefühl, aber es gab keinen Zweifel, sie würden wissen, wie man das Haus mit Leben füllte.
Am nächsten Abend war er so verzweifelt, daß er seinen Cousin Ivan anrief.
Ivan antwortete ziemlich rasch über Komkonsole.
Leutnant Lord Ivan Vorpatril trug noch die grüne Interimsuniform, die bis auf eine Besonderheit genau der von Miles glich: vor dem roten Kragenspiegel des Leutnants stak bei ihm statt des KBS-Abzeichens das Emblem des Führungsstabs. Wenigstens hatte Ivan sich nicht verändert; er hielt tagsüber immer noch denselben Schreibtisch im Hauptquartier der kaiserlichen Streitkräfte besetzt und führte am Abend das angenehme Leben eines Vor-Offiziers in der Hauptstadt.
Ivans gut aussehendes, freundliches Gesicht erhellte sich zu einem echten Lächeln, als er Miles sah. »Schön, Cousin! Ich wußte gar nicht, daß du wieder hier bist.« »Ich bin vor ein paar Tagen angekommen«, gestand Miles. »Ich mache zur Zeit die etwas bizarre Erfahrung, Palais Vorkosigan nur für mich zu haben.« »Du lieber Gott, bist du ganz allein in diesem Mausoleum?« »Abgesehen vom Wächter am Tor und Pep der Katze, die sich beide abseits halten.« »Das dürfte dir doch passen, wo du von den Toten zurück bist«, sagte Ivan.
Miles faßte sich an die Brust. »Nicht wirklich. Ich habe vorher noch gar nicht gemerkt, wie sehr das alte Gemäuer bei Nacht knarzt. Ich habe diesen Nachmittag zugebracht mit …« Er konnte Ivan nicht gut sagen, er habe den Tag damit zugebracht, einen geheimen medizinischen Ausflug zu planen, ohne daß Ivan fragen würde: Warum? So fuhr er geschmeidig fort: »… dem Durchschauen des Archivs. Ich frage mich, wie viele Leute im Laufe der Jahrhunderte tatsächlich in diesem Haus gestorben sind. Außer meinem Großvater natürlich. Es waren viel mehr, als ich gedacht hatte.« Wirklich eine faszinierende Frage; er würde tatsächlich das Archiv durchschauen müssen.
»Pfui Teufel!« »Also … was ist in der Stadt so los? Besteht eine Chance, daß du mal bei mir vorbeischaust?« »Den ganzen Tag über habe ich natürlich Dienst … in Wirklichkeit ist nicht so übermäßig viel los. Wir stecken jetzt in der seltsamen Flaute zwischen Kaisers Geburtstag und dem Winterfest.« »Wie war die Geburtstagsparty dieses Jahr? Ich habe sie einfach verpaßt, denn ich war noch unterwegs, hatte noch drei Wochen Reise vor mir. An Bord hat sich sogar niemand aus Anlaß der Feier besoffen.« »Ja, ich weiß. An mir ist es hängengeblieben, den Beutel mit dem Gold für euren Distrikt abzugeben. Es war das übliche Gedränge. Gregor hat sich zeitig zurückgezogen, und so ist die ganze Sache noch vor dem Morgengrauen irgendwie versickert.« Ivan schürzte die Lippen. Es sah aus, als sei ihm eine brillante Idee gekommen. Miles machte sich auf alles gefaßt.
»Aber ich sag dir was. Übermorgen gibt Gregor ein Staatsdiner.
Zwei oder drei neue Botschafter bedeutender galaktischer Mächte und ein paar Konsuln haben im letzten
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