Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorkosigan 13 Komarr

Vorkosigan 13 Komarr

Titel: Vorkosigan 13 Komarr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:

    feindliche Vernehmung, der ich mich unterziehen musste, konnte ich tatsächlich sabotieren, indem ich ständig 319
    Gedichte aufsagte. Das war eine sehr bizarre Erfahrung.
    Bei normalen Menschen hängt das Ausmaß der, nun ja, Hässlichkeit zu einem großen Teil davon ab, ob man
    dagegen ankämpft oder sich fügt. Wenn man das Gefühl hat, der Vernehmende sei auf der eigenen Seite, dann kann es eine sehr entspannende Art sein, die gleiche Aussage zu machen, die man sowieso gemacht hätte.«
    »Oh.« Sie wirkte noch nicht ausreichend beruhigt.
    »Ich kann nicht behaupten, dass Ihre Reserviertheit nicht durchbrochen wird«, und sie verfügte ja über eine meeresgrundtiefe Reserviertheit, »aber eine richtig geführte Befragung sollte Sie nicht« – beschämen – »zu sehr mitnehmen.« Allerdings, wenn die Ereignisse der vergangenen Nacht sie nicht in ihrer beängstigenden Selbstbeherrschung erschüttert hatten … Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Wie haben Sie gelernt, so gefasst zu reagieren, wie Sie es tun?«
    Ihr Gesicht wurde ausdruckslos. »Reagiere ich gefasst?«
    »Ja. Sie sind sehr schwer zu durchschauen.«
    »Oh.« Sie rührte ihren Kaffee um. »Ich weiß es nicht.
    Ich bin so, seit ich mich erinnern kann.« Ein mehr nach Innen gerichteter Blick glättete ihre Züge für eine Weile.
    »Nein… nein, es hat eine Zeit gegeben… vermutlich geht es darauf zurück… ich hatte, ich habe drei ältere Brüder.«
    Die typische Familienstruktur der Vor ihrer Generation: schlichtweg zu viele Söhne, denen als Nachgedanke eine symbolische Tochter folgte. Hatte von diesen Eltern niemand a) Voraussicht besessen und b) die Grundrechenarten beherrscht? Hatten sie nicht Großeltern werden wollen?
    »Die beiden Ältesten waren schon weit aus meinem
320
    Alter heraus«, fuhr sie fort, »aber der Jüngste war mir altersmäßig nahe genug, um sich mir gegenüber abscheulich zu benehmen. Er entdeckte, dass es für ihn eine prächtige Unterhaltung bedeutete, mich zu necken, bis ich Wutanfälle bekam. Pferde waren ein todsicheres Thema; ich war damals eine Pferdenärrin. Ich konnte mich nicht wehren – ich hatte damals nicht den Grips, mit gleicher Münze heimzuzahlen, und wenn ich versuchte, ihn zu
    hauen, so war er größer als ich – ich meine die Zeit, als ich etwa zehn und er ungefähr vierzehn war –: Er konnte mich einfach kopfüber hochhalten. Nach einer Weile hatte er mich so gut dressiert, dass er mich schon allein durch Wiehern zum Schreien bringen konnte.« Sie lächelte
    grimmig. »Für meine Eltern war das eine große Prüfung.«
    »Konnten sie ihm denn nicht Einhalt gebieten?«
    »Für gewöhnlich war er pfiffig genug und kam ungeschoren davon. Es wirkte sogar bei mir – ich kann mich erinnern, wie ich einmal lachte und ihn gleichzeitig schlug.
    Und ich glaube, dass damals die Krankheit meiner Mutter begann, allerdings wusste es keiner von uns. Was meine Mutter mir sagte – ich sehe sie immer noch vor mir, wie sie ihren Kopf hielt –, bestand darin, ich sollte ihn zum Aufhören bringen, indem ich einfach nicht reagierte. Sie sagte dasselbe, wenn ich in der Schule gehänselt wurde oder mich über irgendetwas aufregte. Sei eine steinerne Statue, sagte sie. Dann macht es ihm keinen Spaß, und er wird aufhören.
    Und er hörte auf. Oder zumindest wurde er älter, war kein vierzehnjähriger Flegel mehr und ging dann weg, an die Universität. Heute sind wir Freunde. Aber ich habe es 321
    nicht mehr verlernt, auf einen Angriff zu reagieren, indem ich zu Stein werde. Wenn ich jetzt zurückblicke, frage ich mich, wie viele Probleme in meiner Ehe ihre Ursache hatten in… tja.« Sie lächelte und blinzelte. »Meine Mutter hatte Unrecht, glaube ich. Sicherlich ignorierte sie ihren eigenen Schmerz viel zu lange. Aber ich bin jetzt ganz aus Stein, und es ist zu spät.«
    Miles biss sich kräftig in die Fingerknöchel. Ganz recht.
    Am Beginn ihrer Pubertät hatte sie also erfahren, dass niemand sie verteidigen würde, wenn sie sich nicht selbst verteidigen konnte und der einzige Weg zum Überleben darin bestand, sich totzustellen. Großartig. Und falls es noch eine falschere Geste geben sollte, die ein unbeholfener Kerl in diesem Augenblick tun konnte, als sie in die Arme zu nehmen und zu versuchen, sie zu trösten, dann entzog diese sich seinen wildesten Phantasien. Falls es für sie notwendig war, im Augenblick versteinert zu sein, weil dies die einzige Überlebensmethode war, die sie kannte, dann sollte sie

Weitere Kostenlose Bücher