Vorkosigan 13 Komarr
der geschützten Daten erwies sich als eine riesige Datei mit Ausschnitten aus Untersuchungen und Recherchen, die ziemlich ihrer eigenen über Vorzohns Dystrophie ähnelte. Aber Tiens neue Obsession betraf anscheinend komarranische Handelsflotten.
Komarrs Wirtschaft gründete sich natürlich auf seine Wurmlöcher und auf die Dienstleistungen für die Handelsschiffe anderer Planeten, die diese Wurmlöcher durchquerten. Doch sobald man diese ganzen Profite angehäuft hatte, wie sollte man sie reinvestieren? Es gab schließlich eine physikalisch begrenzte Anzahl von Wurmlöchern im komarranischen Lokalraum. Und so hatte sich Komarr
daran gemacht, seine eigenen Handelsflotten zu entwickeln, die dann lange, komplizierte Reisen von Monaten oder sogar Jahren in den Wurmlochnexus antraten und manchmal mit märchenhaften Gewinnen zurückkehrten.
Und manchmal auch nicht. Berichte über alle Flotten, welche die besten, sagenhaftesten Erträge eingebracht hatten, waren in Tiens Dateien hervorgehoben. Die Misserfolge, die zugegebenermaßen weniger waren, hatte man 207
beiseite geschoben. Tien war immer ein Optimist. Jeder Tag konnte ihm seine Glückschance bringen, jene Chance, die ihn direkt und ohne Zwischenstufen an die Spitze katapultieren würde. Als glaubte er wirklich, dass es so ginge.
Einige der Flotten befanden sich im strikten Besitz der berühmten Familienunternehmen aus Komarrs Oligarchie, wie zum Beispiel der Toscanes; andere verkauften ihre Aktien auf dem öffentlichen Markt an alle Komarraner, die mitboten. Fast jeder Komarraner tat dies; Ekaterin hatte einmal einen barrayaranischen Bürokraten spötteln hören, im komarranischen Staat ersetze die Aktienspekulation das Bedürfnis für die meisten anderen Arten von Glücksspiel.
Und wenn man auf Komarr lebt, sollte man sich dann nach den Landessitten richten? Mit Angst im Herzen ging Ekaterin zum finanziellen Teil der Datei über.
Wo in Gottes Namen hat Tien hundertausend Mark her, um Flottenaktien zu kaufen? Sein Gehalt betrug kaum fünftausend Mark im Monat. Und warum hatte er dann die ganzen Hundertausend in ein und dieselbe Flotte investiert?
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit der ersten Frage zu, die man zumindest potenziell mit Bezug auf die erfassten Fakten beantworten konnte, ohne dass es dazu einer
psychologischen Theorie bedurfte. Sie brauchte einige Zeit, um den Kreditzufluss nach seinen verschiedenen Quellen aufzuteilen. Eine teilweise Antwort bestand darin, dass er zu einem beunruhigend hohen Zinssatz kurzfristig sechzigtausend Mark geliehen hatte; die Absicherung bestand aus seinem Pensionsfonds und Flottenaktien im Wert von
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vierzigtausend Mark, die er – womit? – gekauft hatte. Mit Geld, das anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht war.
Von Soudha? Hatte Tien dies mit einem Geister
angestellten gemeint?
Ekaterin las weiter. Die Flotte, auf die Tien sein
geborgtes Spekulationsgeld gesetzt hatte, war mit viel Trara und Tamtam aufgebrochen; wochenlang waren nach ihrer Abreise die Aktien auf dem Sekundärmarkt zu
steigenden Kursen gehandelt worden. Tien hatte sogar einen bunten Graphen gezeichnet, um seine elektronischen Gewinne zu verfolgen. Dann war der Flotte ein Desaster zugestoßen: Ein ganzes Schiff samt Fracht und Besatzung war bei einem Wurmlochunfall verloren gegangen. Da die Flotte jetzt nicht mehr in der Lage war, viele ihrer geplanten Handelstransaktionen zu vollenden, weil diese auf der verlorenen Fracht beruht hatten, war sie eine andere Route geflogen und früh heimgekehrt, mit eingezogenem Schwanz sozusagen. Manche Flotten brachten ihren Investoren eine Rendite von zwei zu eins, der Durchschnitt lag allerdings näher bei zehn Prozent. Die Goldene Fahrt der Marat Galen im vergangenen Jahrhundert war berühmt, da sie für jede Aktie ihrer Investoren einen märchenhaften Profit von hundert zu eins eingetragen und damit mindestens zwei neue oligarchische Clans hervorgebracht hatte.
Tiens Flotte hatte jedoch einen Verlust von vier zu eins eingebracht.
Mit seinen übrig gebliebenen fünfundzwanzigtausend
Mark, Ekaterins viertausend, seinem persönlichen Sparkonto und seinem mageren Pensionsfonds war Tien nur in der Lage, zwei Drittel seines Kredits, der jetzt fällig war, 209
zurückzuzahlen. Nach den aggressiv formulierten Mahnungen war der Kredit offensichtlich schon dringend überfällig. Als er Soudha angefleht hatte, er brauchte jetzt zwanzigtausend Mark, hatte Tien nicht übertrieben.
Ekaterin konnte nicht anders als
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