Vorkosigan 13 Komarr
entkleidet.
Das hier war jetzt, wie nannte man es, ein »Fenster der günstigen Gelegenheit«. Wenn sie jetzt wegging, bevor die Krise ausbrach und bevor dieser ganze grässliche Schlamassel an die Öffentlichkeit kam, dann würde sie doch Tien nicht in der Stunde seiner größten Not verlassen, oder?
Frage dein Kriegerherz, Frau! Ist Desertion in der Nacht vor der Schlacht auch nur einen Deut besser als Fahnenflucht in der Hitze des Kampfes?
Doch wenn sie nicht ging, dann gab sie stillschweigend ihr Einverständnis zu dieser Farce. Nur Unwissenheit bedeutete Unschuld. Wissen war… alles andere als Macht.
Niemand sonst würde sie retten. Niemand sonst zählte.
Und selbst die Lippen zu öffnen und »Hilfe!« zu flüstern bedeutete, Tiens Vernichtung zu wählen.
Sie saß sehr lange stumm und still da wie ein Stein.
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8
Als Treffpunkt mit Miles und Tien
vereinbarte Hauptmann Tuomonen die Eingangshalle von Vorsoissons Wohnhaus anstatt der Büros des Terraforming-Projekts, eine höflich-freundliche Geste, von der sich Miles auch nicht einen Moment täuschen ließ. Der kaiserliche Auditor sollte eine KBS-Wache bekommen, ob er sie nun angefordert hatte oder nicht – so kam es ihm vor.
Miles freute sich fast darauf, die Probe auf Tuomonens höfliche Findigkeit zu erleben, die dessen sicherheitsdienstliche Zielstrebigkeit zweifellos demonstrieren würde.
Auf der Bubblecar-Plattform auf der anderen Seite des Parks ergriff Miles die Gelegenheit, Tien in einen anderen Wagen umzudirigieren und für sich und Tuomonen einen eigenen zu reklamieren, damit er die Neuigkeiten der Nacht leichter aus dem Hauptmann herausholen konnte.
Ein paar morgendliche Pendler drängten sich in den Wagen des Administrators, der gleich darauf in die Röhren rutschte. Die nächsten beiden Komarraner hatten schon beim Anblick der grünen kaiserlichen Uniform gezögert, doch als sie nahe genug herangekommen waren, um das KBS-Abzeichen mit den Horusaugen am Kragen des
Hauptmanns zu erkennen, unterließen sie jeden Versuch, sich Miles und Tuomonen anzuschließen.
»Bekommen Sie immer ein Bubblecar für sich allein?«, erkundigte sich Miles, als das Verdeck sich schloss und der Wagen sich in Bewegung setzte.
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»Wenn ich in Uniform bin. Es funktioniert wie ein
Zaubermittel.« Tuomonen lächelte leicht. »Aber wenn ich die Serifosaner belauschen will, dann sorge ich dafür, dass ich Zivilkleidung trage.«
»Aha. Und wie ist der Stand der Dinge bezüglich
Radovas’ Bibliothek?«
»Ich habe in der Nacht noch einen der Männer unseres hiesigen Stützpunkts losgeschickt, damit er sie eigenhändig ins Hauptquartier in Solstice bringt. Solstice ist uns drei Zeitzonen voraus; der dortige Analyst müsste inzwischen damit begonnen haben.«
»Gut.« Miles zog die Augenbrauen zusammen. Hiesiger Stützpunkt? »Hm… wie groß ist die KBS-Niederlassung in Serifosa eigentlich?«
»Tja… da bin ich selbst, mein Dienst habender Sergeant und zwei Korporale. Wir pflegen die Datenbank, koordinieren den Informationsfluss zum Hauptquartier und unterstützen alle Ermittler, die uns das Hauptquartier bei besonderen Projekten schickt. Dann gibt es da meinen Leutnant, der die Wachen auf dem Anwesen des
Subkonsulats des Sektors befehligt. Er hat eine Einheit von zehn Mann, um dort für Sicherheit zu sorgen.«
Den Kaiserlichen Berater nannte man mit Rücksicht auf die hiesigen Sitten den barrayaranischen Vizekönig von Komarr. Da er inkognito in Serifosa eingetroffen war, hatte Miles sich davon entschuldigt gesehen, dem Repräsentanten des Beraters im Serifosa-Sektor einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, beziehungsweise er hatte beschlossen so zu tun, als sähe er sich davon entbunden. »Nur zehn 215
Mann? Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche?«
»Leider ja.« Tuomonen lächelte schief. »In Serifosa geschieht nicht viel, Mylord. Während der komarranischen Revolte war es eine der am wenigsten aktiv beteiligten Kuppelstädte, und diese Tradition sozialer Apathie hat man seitdem beibehalten. Es war der erste Sektor, aus dem man die kaiserliche Besatzungsgarnison abzog. Einer meiner komarranischen Schwiegerverwandten schreibt den
Mangel an städtebaulicher Erneuerung im Zentralbereich der Kuppel dem Versagen der vorhergehenden Generation zu, dafür zu sorgen, dass er von kaiserlichen Truppen dem Erdboden gleich gemacht wurde.« Dieser alte und verfallene Bereich wurde jetzt in einiger Entfernung sichtbar, als der Wagen den Zenit eines Bogens erreichte
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