Vorkosigan 13 Komarr
Überredung versuchen wollte, dann würde das wenigstens die Garantie bedeuten, dass er woanders war und nicht hier, und sie konnte immer noch fortgehen.
Doch das Gesicht, das nach ihrem zögernden Knopfdruck über der Vid-Scheibe erschien, gehörte einer Komarranerin aus Tiens Abteilung, Lena Foscol. Ekaterin war ihr nur ein paarmal persönlich begegnet, doch ihr fiel ein, was Soudha die Nacht zuvor über dieser Vid-Scheibe gesagt hatte: Lena Foscol von der Buchhaltung ist die akribischste Diebin, der ich je begegnet bin. Ach du lieber Himmel. Sie 271
gehörte zu ihnen. Der Hintergrund war verschwommen, doch die Frau trug einen Parka, den sie über ihre komarranische Kleidung geworfen hatte, was den Gedanken nahe legte, sie sei entweder auf dem Weg zu einer Expedition nach draußen oder komme gerade davon zurück. Ekaterin betrachtete sie mit verhohlenem Abscheu.
»Madame Vorsoisson?«, sagte Foscol munter. Ohne auf Ekaterins Antwort zu warten, fuhr sie fort: »Bitte kommen Sie und holen Sie Ihren Mann an der Abwärme-Versuchsstation ab. Er wartet auf Sie außerhalb der Nordwestseite des Maschinengebäudes.«
»Aber…« Was hatte Tien um diese späte Stunde dort
draußen zu tun? »Wie ist er denn dorthin gekommen? Hat er denn keinen Flieger? Kann er nicht mit jemand anderem zurückkommen?«
»Alle anderen sind schon fort.« Foscol grinste breit und schaltete ab.
»Aber…« Ekaterin hob ihre Hand in vergeblichem
Protest, doch es war zu spät. »Verdammt.« Und dann, einen Moment später: »Hol’s der Teufel!«
Tien von der Versuchsstation abzuholen würde mindestens zwei Stunden dauern. Sie würde zuerst mit einem Bubblecar zu einer öffentlichen Fliegervermietung fahren und sich dort einen Flieger leihen müssen, da sie nicht die Vollmacht hatte, einen von Tiens Abteilung anzufordern.
Sie hatte ernsthaft erwogen, diese Nacht auf einer Parkbank zu schlafen, um ihre kargen Mittel für die unsicheren Tage aufzusparen, die vor ihr lagen, bis sie irgendeine bezahlte Tätigkeit gefunden hätte; allerdings erlaubten die 272
Wachstreifen der Kuppelstadt Obdachlosen nicht, an Orten herumzulungern, wo sie sich vielleicht sicher fühlen würde. Foscol hatte nicht gesagt, ob Lord Vorkosigan mit Tien zusammen war, was den Gedanken nahe legte, dass er es nicht war, was wiederum bedeutete, sie würde mit Tien allein nach Serifosa zurückfliegen müssen. Und Tien würde darauf bestehen, das Steuer zu übernehmen, und was war, falls er unterwegs auf halbem Weg schließlich Ernst machte mit seinen Selbstmorddrohungen und beschloss, sie mit in den Tod zu nehmen? Nein. Das war das Risiko nicht wert. Soll er doch bis zum Morgen dort draußen versauern oder jemand anderen rufen.
Als sie schon die Hand erneut an ihrem Koffer hatte, dachte sie noch einmal darüber nach. In diesem ganzen Schlamassel gab es einen, der immer noch gefährdet oder zumindest vom Wohlverhalten aller Beteiligten abhängig war: Nikki. Tiens Beziehung zu seinem Sohn war größtenteils von Gleichgültigkeit geprägt, in die sich gelegentlich Einschüchterung mischte, aber es gab dann immer noch genug Anfälle von tatsächlicher Aufmerksamkeit, sodass Nikki zumindest noch eine gewisse Anhänglichkeit seinem Vater gegenüber an den Tag zu legen schien. Die Beziehung der beiden war immer getrennt von ihrer eigenen zu ihnen. Sie und Tien würden Nikki zuliebe kooperieren müssen: eine eiserne Hülle aus oberflächlicher Höflichkeit, die keine Sprünge bekommen dürfte. Tiens Ärger oder potenzielle Gewalttätigkeit waren für Ekaterins Zukunft keine größere Bedrohung als irgendein verspäteter Versuch von Zuneigung oder Versöhnung auf seiner Seite. Jetzt, so dachte sie, wäre sie in der Lage, beides mit der gleichen 273
steinernen Miene abzuweisen.
Ich bin nicht hier, um meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ich bin hier, um meine Ziele zu erreichen. Ja. Sie wusste, dies würde in den kommenden Wochen ihr neues Mantra sein. Sie verzog das Gesicht, öffnete ihren Koffer und holte ihre persönliche Sauerstoffmaske heraus, überprüfte die Reserven, zog ihren Parka an und machte sich auf den Weg zur Bubblecar-Station.
Die Verzögerungen waren genauso ärgerlich, wie Ekaterin es vorhergesehen hatte. Einige Komarraner, die mit ihr im selben Bubblecar saßen, machten zwei zusätzliche Stopps nötig. Sie steckte dreißig Minuten in Sichtweite ihres Ziels im Stau; als sie endlich die westlichste Schleuse der Kuppel erreichte, war sie schon nahe daran,
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