Vorkosigan 15 Ein friedlicher Angriffsplan
erschöpft zu sein. Trink
jetzt das Wasser. Sonst trocknest du noch aus.«
Gehorsam tat Ekaterin wie geheißen. Sie setzte das Glas ab und öffnete und schloss ihre Augen einige Male. »Das waren wirklich Graf und Gräfin Vorkosigan gestern Abend, nicht wahr?« Es war eigentlich keine Frage, sondern eher eine Bitte um ein Nein. Nachdem sie die
beiden auf ihrer verzweifelten Flucht durch die Tür von Palais Vorkosigan fast umgerannt hatte, war sie im Autotaxi schon auf halbem Weg nach Hause gewesen, als ihr verspätet und mit Schrecken aufging, um wen es sich - 405 -
handelte. Das große und berühmte Vizekönigspaar von
Sergyar. Wie kamen sie dazu, in einem solchen Augenblick so wie gewöhnliche Leute auszusehen? Au, au. au.
»Ja. Ich war ihnen schon früher begegnet, hatte aber da keine Gelegenheit gehabt, ausführlich mit ihnen zu sprechen.«
»Hast du … gestern Abend mit ihnen ausführlich
gesprochen?« Ihre Tante und ihr Onkel waren fast eine Stunde nach ihr nach Hause gekommen.
»Ja, wir haben recht nett mit ihnen geplaudert. Ich war beeindruckt. Miles' Mutter ist eine sehr vernünftige Frau.«
»Warum ist dann ihr Sohn so ein… ach, lass nur.« Au.
»Sie müssen mich für hysterisch halten. Wie konnte ich nur den Nerv haben, einfach aufzustehen und ein formelles Dinner zu verlassen, und das vor all diesen… und L ady Alys Vorpatril… und das im Palais Vorkosigan. Ich kann nicht glauben, dass er das getan hat.«
Tante Vorthys fragte nicht Was? oder Welcher er? Sie schürzte die Lippen und blickte fragend auf ihre Nichte.
»Nun, vermutlich hättest du keine große Wahl.«
»Nein.«
»Wenn du nicht gegangen wärest, dann hättest du
schließlich Lord Vorkosigans Frage beantworten müssen.«
»Ich … habe sie nicht beantwortet…?« Ekaterin
blinzelte. Waren ihre Taten nicht Antwort genug gewesen?
»Unter diesen Umständen? Bist du verrückt?«
»Im selben Augenblick, als er die Worte ausgesprochen hatte, da wusste er, dass es ein Fehler war, das glaube ich wohl, zumindest nach dem grässlichen Ausdruck auf - 406 -
seinem Gesicht zu urteilen. Man konnte sehen, wie ihm der letzte Tropfen Blut aus den Zügen wich. Außerordentlich.
Aber ich komme nicht umhin zu fragen, meine Liebe –
wenn du nein sagen wolltest, warum hast du es nicht getan? Es war die perfekte Gelegenheit dafür.«
»Ich … ich …« Ekaterin versuchte ihre Gedanken zu
sammeln, die sich wie Schafe in alle Richtungen zu
zerstreuen schienen. »Es wäre nicht… höflich gewesen.«
»Du hättest sagen können: ›Nein, danke‹«, murmelte
ihre Tante nach einer Pause des Nachdenkens.
Ekaterin rieb sich das taube Gesicht. »Tante Vorthys«, seufzte sie. »Ich habe dich sehr gern. Aber jetzt geh bitte.«
Ihre Tante lächelte, küsste sie auf den Scheitel und ging hinaus.
Ekaterin kehrte zu ihren zweimal unterbrochenen Grübeleien zurück. Sie erkannte, dass ihre Tante Recht hatte.
Ekaterin hatte Miles' Frage nicht beantwortet. Und sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sie nicht beantwortet hatte.
Ihr wurde der Grund der Kopfschmerzen und der
Magenkrämpfe klar, und die hatten nicht mit zu viel Wein zu tun. Bei ihren Streitereien mit ihrem verstorbenen Mann Tien hatte es nie körperliche Gewalt gegen sie gegeben, obwohl die Wände einige Male seine Faustschläge erdulden mussten. Der Krach hatte sich immer totgelaufen in Tage erstarrter, stummer Wut, erfüllt mit unerträglicher Spannung und einer Art Gram von zwei Menschen, die zusammen in demselben, immer zu kleinen Raum eingesperrt waren und einen weiten Bogen umeinander
machten. Sie hatte immer zuerst nachgegeben,
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zurückgesteckt, sich entschuldigt, versöhnliche Töne
angestimmt – alles, um dem Schmerz ein Ende zu machen.
Tief betrübt nannte man vielleicht diese Emotion.
Dorthin möchte ich nicht mehr zurückkehren. Bitte, lass mich nie mehr dorthin zurückkehren.
Wo bin ich, wenn ich in mir selbst zu Hause bin? Nicht hier, trotz aller anwachsenden Last der Güte ihrer Tante und ihres Onkels. Nicht bei Tien, das war gewiss. Nicht bei ihrem Vater. Bei… Miles? Sie hatte Momente tiefen Seelenfriedens in seiner Gegenwart empfunden, das stimmte, kurze Augenblicke vielleicht, aber ruhig wie tiefes Wasser. Es hatte auch Momente gegeben, wo sie ihm am liebsten einen Schlag mit einem Ziegelstein versetzt hätte. Welcher war der wirkliche Miles? Doch welche war schließlich die wirkliche Ekaterin?
Die Antwort blieb unklar und versetzte sie in
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