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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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noch da, nur ihr Blick war immer am Boden und hatte die Wachsamkeit eines bösen Huhns, immer bereit, in jede Richtung zu hacken. Sie hatte auch in Stuarts Richtung gehackt, anfangs, als er an ihrem Tisch Platz nahm, wegen der Schmerzen schimpfte oder um frische Laken fragte. Ein einziges Wort von ihm war genug, dass Ella ihre Arbeit hinwarf und sich für den Rest des Tages in die Kammer schloss. Während Ludwig das unangenehm war, er selbst um Laken ging oder um einen Teller für Stuart aufstand, grinste dieser nur schief hinter Ella her, winkte Max zu sich auf den Schoß und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Most entertaining, your mummy, isn’t she?«
Max nickte nachdenklich.
     
    In der Scheune begann Ludwig im nächsten Frühling mit der Arbeit an seinem Rübenernter. Die Pläne, die er im Erdkeller gezeichnet hatte, hingen sauber an der Scheunenwand. Er hatte die vielen Einzelteile und das Blech der Spitfire, er hatte den britischen Motor und sogar genug Benzin, das alles hatte ihm die Hofstange besorgt. Die größten Probleme bereitete der Antrieb. Der Rübenernter musste auch noch in schwierigem Gelände auf dem Feld fahren, er durfte nicht wie die Schlepper in feuchter Erde stecken bleiben und seine Leistung einbüßen. Was Ludwig fehlte, war ein Raupenantrieb, wie ihn die Tanks hatten, zweimal hatte er welche auf der Straße beobachtet. Solche Raupenfahrwerke müssten später, wenn dieser Krieg einmal aufhörte, zu bekommen sein, da war sich Ludwig sicher. Er konstruierte das Fahrzeug einfach auf so ein Fahrgestell, ganz als hätte er es schon. Die Aufbauten waren schlicht, nur die Werkzeuge zur Blechbearbeitung fehlten ihm. Er schmiedete mit einem einfachen Hammer und einer improvisierten Esse aus einem alten Steintrog. Die lederne Bordtasche, die zur Spitfire gehörte und einen einfachen Werkzeugsatz aufwies, wurde ihm die wertvollste Hilfe. Aber es dauerte, und Max und Stuart, die anfangs lange bei ihm gesessen waren, ließen sich nur noch selten blicken.
    Eines Mittags im Juni kam Ella aus dem Dorf, wo sie seit einiger Zeit Pildauer Kartoffeln und Zuckerbruch gegen Eier und Mehl tauschte. Statt damit in die Küche zu gehen, stieg sie auf das Podest der Hofstange, ließ Steine, die immer noch zu diesem Zweck bereitlagen, in die leere Blechtonne regnen, so lange, bis alle anderen gelaufen kamen, Stuart mit Rasierschaum im Gesicht, Ludwig mit dem Dengelhammer in der Hand und Max aus irgendeinem Winkel. Sie starrten auf Ella auf dem Podest, die jetzt beide Hände zu einem Trichter formte und hindurch, lauter, als je ein Geräusch von ihr gewesen war, verkündete: »Der geschissene Krieg ist vorbei! Freut euch, jetzt kommen die Russen.« Sie hackte in die Richtung der unsichtbaren neuen Besatzer, dann packte sie ihren Beutel und stieg, ohne die anderen weiter zu beachten oder Nachfragen zuzulassen, wieder hinunter und verschwand im Haus. Die drei Männer sahen sich an, in Stuarts belustigter Miene stand eine große Frage, und Max übersetzte ihm die kleine Rede flüssig ins Englische, was Ludwig kaum weniger erstaunte als Ellas Auftritt. Was hatte er in den letzten Monaten in seiner Werkstatt verpasst? Dann gingen sie alle drei wieder dorthin, wo sie herkamen, um über die Proklamation nachzudenken.
    Das Kriegsende, da war sich Ludwig sicher, würde genauso wenig ändern wie der Kriegsanfang. Bis es bei ihnen wäre, würde es dauern. Die Russen? Dazu fiel ihm nichts ein, nur das, was der Lehrer über die Revolution erzählt hatte, vor vielen Jahren. Er verfluchte Pildau, weil er hier so wenig wissen konnte. Es hatte sie überleben lassen, zwei Kriege waren hier vergangen, aber der Preis dafür war ein Rückstand im Weltgeschehen, den er nicht mehr aufholen konnte.
    Als sich der erste Friedenswinter mit einem frostigen Oktober ankündigte, war der Rübenernter Universal, wie Ludwig ihn jetzt nannte, nahezu fertig. Der Aufbau stand gebockt auf vier starken Balken, sodass man von unten hineinschlüpfen konnte. Innen betrat man ein prächtiges Dickicht aus Scharnieren, Gelenken, Antriebswellen, es gab zwei bewegliche Flügelarme die rechts und links des Ernters in den Rübenreihen sammelten, es gab Trenngatter, Reinigungskratzer, einen Sammelkäfig für die geschnittenen Rüben und Sortierschaufeln. Es war eine wunderschöne Maschine, das musste selbst Ella zugeben, als sie mit den anderen eines Abends im Scheunentor stand, wo Ludwig einfache Fackeln entzündet hatte, um seinen Rübenernter Universal ohne

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