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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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kommen schien. Die Bombe, dachte Ludwig und stand im nächsten Augenblick im Hof. Der Tag hatte schon jenes erste Licht, in dem er vor einem ganzen Leben Ellas Brüste gesehen hatte. Diesmal beleuchtete es die Hofstange, und Ludwig merkte gleich, dass sie nicht im richtigen Winkel zum Himmel stand. Wenn etwas so lange am gleichen Platz war, fühlte man schon, wenn nur eine Winzigkeit nicht stimmte, und für Ludwig war es, als wäre das ganze Bild hier längs verschoben worden. Die Fassung, die er um den Stamm geschmiedet hatte, war an einer Seite aufgebrochen, die Hofstange hatte sich in diese Seite gedrückt, geborstene Metallstreben spreißelten tief in das Holz, aber die Stange hielt sich dennoch nahezu gerade. Sie würde nicht stürzen, das sah Ludwig mit einem Blick, zumindest nicht gleich.
    Da war noch etwas anderes, das nicht stimmte. In der Luft lag ein Dröhnen, das sich erst, als er hinausgestolpert war, entfernt hatte und nun wieder näher kam, es war nicht sehr hoch und so unzweifelhaft nahe, Ludwig wusste, dass er in der nächsten Sekunde ein Flugzeug hinter dem Hügel auftauchen sehen würde. Die Maschine trudelte schon, der Motor sprach zu Ludwig, wie alle Maschinen zu ihm sprachen, und dieser sagte gerade seine letzten Worte. Nur einen dünnen Rauchfaden zog sie hinter sich her, Ludwig sah unter den Tragflächen die britische Markierung, die Maschine sackte durch, einmal, da war sie gerade hinter dem Haus, noch einmal, und berührte dann mit dem rechten Flügel als Erstes so sanft den Rübenacker, als wäre es ein Tanz. Beim zweiten Mal riss der Flügel ab, die Nase bohrte sich in den Acker, der Rumpf schlug ein Rad über der Stelle und blieb kopfüber liegen. Das stumpfe Knirschen dazu hörte Ludwig erst viel später. Er rannte ins Haus, um sofort wieder herauszukommen. Ella kam im Nachthemd aus der Tür, sie sahen sich zum ersten Mal seit langem ganz und gerade an. Die Amseln sangen, denn ihnen war es auch nur ein Frühlingsmorgen. Wie er war, näherte sich Ludwig dem Wrack, folgte der breiten Furche, die es gezogen hatte, bis zu ihrem Ende. Was auch geschieht, dachte er, jetzt bin ich an der Reihe, es zu tragen.
    Es war eine Spitfire, die in den Rübenacker von Pildau gestürzt war. Die Kapsel mit dem Piloten hatte sich halb in die Erde gerammt. Ludwig robbte bis an die durchsichtige Kuppel und sah den Mann, der eine Fliegermütze und eine schwere Brille trug. Der Kopf lag auf der Seite, aber noch während Ludwig ihn betrachtete, ruckte er herum und verfiel kurz in Bewegungen, wie ein Tier, das in Gefangenschaft erwacht und die ersten Ausmaße des Käfigs begreifen will. Dann sah er Ludwig, und das Rucken hörte auf, ganz ruhig war es, nur zwei Männer und dazwischen eine Scheibe. Nach geraumer Zeit nickte der Pilot vorsichtig, und Ludwig Honigbrod nickte auch. Er zeigte ihm seine beiden leeren Handflächen und lief zurück zum Stall, um Werkzeug zu holen. Vor der Tür standen Ella und Max.
    »Der lebt«, sagte Ludwig.
    Ella nickte.
    Max fragte: »Wer?«
     
    Er brauchte den ganzen Vormittag, um den Engländer aus der Kanzel zu befreien. Die Kuppel hatte sich verzogen, und Ludwig musste beim Aufbrechen vorsichtig sein, weil der Körper des Mannes direkt darunterlag. Als er ihn schließlich an den Schultern gepackt und ein paar Meter hinaus aufs Feld gezogen hatte, blieben sie liegen. Schon während der Bergung hatte Ludwig das Benzin aus dem Tank gelassen und aufgefangen, auch aus dem Zusatztank, der die Aufschrift
90  gallons
trug. Das war ein wertvolles Geschenk. Es war ein Glück, dass die Maschine nicht explodiert war, nicht nur wegen des Benzins und des Lebens des Piloten, sondern vor allem, weil eine Rauchsäule ohne Zweifel Neugierige aus dem Dorf angelockt hätte. Die Felder waren noch nicht bestellt, und jeder hätte schon auf dem halben Weg nach Pildau das Flugzeug im Acker liegen sehen. So erschöpft war Ludwig, dass er ganz vergessen hatte, den Mann zu entwaffnen. Jetzt stützte der sich auf, tastete vorsichtig Hose und Jacke ab, und Ludwig sah ihn schon im nächsten Moment eine Pistole ziehen, aber es geschah nicht. Der Engländer krempelte nur die Hosenbeine hoch, besah sich seine Abschürfungen, die nicht unerheblich waren, murmelte dabei etwas, das Ludwig ziemlich sicher als Flüche einordnete. Er sah sich um, lange, dann sagte er zu Ludwig »Stuart« und schielte dabei etwas verlegen auf seine eigenen Zähne. Für Ludwig war es das erste Mal seit langer Zeit, dass er sich jemandem

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