Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
Raupenfahrwerk vorzustellen. Wie gern hätte er ihn in den Hof gefahren oder ausprobiert, er hatte nur für den Fall eines Fahrwerk-Wunders eine Reihe Rüben im Feld gelassen, deren klobige Buckel längst aufgeplatzt waren oder zernagt von den Mäusen. So war es ein schlichtes Zeigen, Stuart klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, und nur Max blieb hinterher bei ihm, um sich auf der Schulter in den Ernter heben zu lassen. Nachdem er eine Weile vorsichtig darin herumgeklettert war, steckte er den Kopf mit dem lachenden Mund aus einer der Luken oben und sagte hinunter: »Deine Maschine, die ist wie das Buch, das ich gerade lese.« In diesem Moment wusste Ludwig, dass er sich um seinen Ziehsohn unnötig Sorgen gemacht hatte. Wer sich im Krieg allein das Bücherlesen beibrachte, der würde im Frieden alles erreichen können.
Ludwig ging wieder ins Dorf und schämte sich. Die Menschen, die er sah, waren so schwach und müde, dass sie auf der Straße kaum vorwärtszugehen schienen. In den Blicken, die er fing, sah er nur noch dünne Reste vom Menschsein. Ihm war, als wäre er von weither gekommen und nicht nur die drei Kilometer von Pildau. Obwohl er selbst, das hatte er längst begriffen, nicht sehr nahe an anderen Menschen war, dafür fehlten ihm die rechten Schmiermittel und Kupplungen, er hatte sie bei Ella nicht und nicht bei Stuart, der sich bisweilen redlich bemüht hatte, obwohl er also kein Gefühl hatte und nichts verstand, wie Ella sagte, war ihm hier auf den brachen Dorfstraßen unendlich bang und weh.
Sie hatten immer noch den Zucker, die Kühe waren schon lange fort, aber der Garten hatte sie an neun Monaten im Jahr mit dem Nötigsten versorgt und gab immer auch noch etwas zum Tauschen her. In den guten Jahren war eingemacht worden, und Ella war eine rechte Haushälterin, nie brauchten sie alles, immer konnte etwas zu den Vorräten zurück. Stuarts Jagd war besser geworden, er fing nicht nur Hasen, sondern auch Fasane und Tauben, die er mit ihnen teilte, und das beste Stück bekam immer Max, der es wieder mit Ella teilte.
Ludwig wanderte die traurigen Dörfer ab, auf der Suche nach einem Raupenfahrwerk oder einem kaputten Panzer. Wo er hinkam, wartete man. Die Gardinen gingen eine Winzigkeit zur Seite, aber er war es nicht, nach dem man Ausschau hielt. Sie warteten auf ihre Männer oder auf die Besatzer oder die Russen oder einfach auf etwas Neues. Es gab auch Frauen, die hatten längst vergessen, dass sie einmal Männer hatten, und die hielten die Gardine ein wenig länger offen, die waren etwas wacher, wenn sich Ludwig mit aller Verbindlichkeit, zu der er imstande war, nach diesem und jenem erkundigte. Sie luden ihn ein, manche hatten Kaffee, und Ludwig ging mit. Wenn danach etwas geschah, dann fühlte es sich für Ludwig an, als könnten sie mit ihren Körpern noch jetzt nachträglich etwas gegen den elenden Krieg tun. Ja, so kam es ihm vor, als etwas Starkes und etwas Freies nach langer Zeit, und außerdem brauchte er die Nachtlager.
Er hatte keinen Erfolg bei seiner Suche, und als er an einem Morgen nach zwei Wochen wieder in Pildau ankam, den kleinen Koffer in der Hand, ein abgeschossenes Hemd und darüber den Janker, fand er Stuart bei Ella im Bett. Sie fühlen es auch, das Freie und Starke, dachte Ludwig und beließ es dabei. Die beiden gingen ihm fortan auf dem Hof aus dem Weg, nicht sehr, aber doch so, dass er es merkte, und es schmerzte ihn bald mehr als das Vorgefallene. Er dachte am Fuße seiner großen Maschine über die Menschen auf dem Hof nach. Der kleine Max hatte das Leben. Stuart hatte seine Heimat, und Ella hatte Stuart, so stand es nun. Er, Ludwig, hatte nur Pildau, er würde hierbleiben, während die anderen sich zerstreuten, das sah er. Wie sein Rübenernter Universal war er ohne das Fahrwerk, um auch nur einen Meter von hier wegzukommen. Er wollte Stuart in manchen dieser Stunden einen Vorschlag machen, aber es fehlten ihm der Mut und die richtigen Worte. So gingen ein paar Monate in unguter Stille ins Land, es war die traurigste Zeit auf Pildau, an die Ludwig sich erinnern konnte.
Als die Russen kamen, waren es Amerikaner. Ein offener Jeep der Army erschien in Pildau, angekündigt von einer kleinen Staubwolke über den gelben Feldern, es war trockener März. Als Stuart beim Näherkommen die Beschriftungen des Wagens las, reckte er eine Faust in die Luft und sagte leise etwas von
victory
, obwohl er es ja längst gewusst hatte. Er hatte seine Abzeichen und die Reste
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