Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
Vom Netzwerk:
über ihm Ella und Max. In der Kammer daneben die Alten und das leere Bett von Stuart. Seit der auf dem Hof war, hatte er weniger Furcht, was Ludwig sich damit erklärte, dass sie hier nun etwas viel Wertvolleres versteckten als nur einen nutzlosen Rübenbauern.
     
    Als der nächste Winter kam, starben die Alten. Es ging schnell, die Bäuerin ließ sich eines Tages nicht mehr ansprechen, und wenn man sich ihr näherte, wehrte sie mit der Hand unbestimmt ab und starrte glasig an die Decke. Sie wollte nicht essen und trinken, Ludwig flößte ihr Suppe ein, aber sie ließ den Kopf zur Seite sinken und alles wieder auslaufen. Max saß an ihrem Fußende und beobachtete genau, was vor sich ging. Der Junge zeigte keine Angst und war nur aufs äußerste bedacht, nichts zu verpassen. Es vergingen ein paar Tage. In der Nacht hörte Ludwig die beiden Alten in ihrer Kammer miteinander sprechen, was ihn sehr berührte. Der Bauer, ein wortkarger Mensch, redete mit seiner Frau in langen, ruhigen Sätzen. Ludwig verstand nicht, was, aber ganz sicher hörte er sie dünn und leise antworten. Es war kein Jammern, nur eine langsame Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die einander das ganze Leben gehalten hatten, und nun waren es also nur noch Tage in dieser Gemeinsamkeit, sie wussten es. Was für Geschichten, dachte Ludwig. Wahrscheinlich banale Erinnerungen, ein paar gesammelte Momente nur, aber wert, sie in diesen Stunden noch einmal zu wiederholen. Mit dem letzten Atem noch mal das zu fassen, was es gewesen war. Sie waren einander die einzigen Zeugen, und so ist es sich jedes Paar.
    Zwei Nächte ging das so, dann sprach nur noch der Alte, und die Pausen zwischen seinen Sätzen wurden immer länger. Schließlich Schweigen und die Kälte, die eine Kammer weiter an Ludwigs Schultern rührte. Sie begruben die alte Bäuerin, die fast gar nichts mehr wog, nahe den Himbeerstauden des Pfänderhofs, die sie so oft geerntet hatte, Jahr um Jahr. Ludwig hatte aus dem Wald einen Stein hinabgerollt, einen jener gelben Granitfindlinge, die auch manchmal in den Äckern lagen, den setzten sie über die Grube. Wie sie so standen und nichts sagten, trat Stuart hervor, unter der groben Wolljoppe nur ein leidlich weißes Unterhemd, und sang in brüchigem Spanisch ein Lied, das auf Pildau noch nie gesungen worden war, das zeitgleich aber in allen Kinos zu hören war, die noch Vorführungen gaben. Aber das wussten sie nicht. Nirgends war die Weise von der Taube trotzdem so achtsam und bis zum Ende verfolgt worden wie hier, von fünf Menschen, die am Ende eines langen Krieges zwischen den Hügeln standen.
    Der Bauer folgte seiner Frau ein halbes Jahr später unter den Stein, ohne ein Zeichen war er auf den Küchentisch gesackt, nur Stuart war dabei gewesen.
»Stroke«
, hatte er festgestellt und den Alten behutsam auf die Bank gebettet, bevor er Ludwig holte. Sie setzten einen zweiten, etwas kleineren Findling daneben, bald würde das Gesträuch dieses Grab überwachsen. Als er in das Zimmer der Bauersleute ging, fand Ludwig das Wenige sauber gerichtet und in der Schublade ein Testament, das ihn als Besitzer von Pildau und all seinen Gemarkungen auswies.
     
    Einmal mehr wurde Ludwig in dieser Zeit die Scheune zum liebsten Platz. Die Dinge mit Ella waren über die letzten Jahre verfahren, ohne dass er so recht den Zeitpunkt hätte benennen können, an dem es auseinanderging. Tatsächlich wich er ihr aus, fürchtete die Vorwürfe, die ständig in ihr zu gären schienen. Wenn er versuchte, ihr wieder nah zu sein wie früher, vor dem Erdkeller, schob sie ihn beiseite. »Das wirst du nicht verstehen«, war einer ihrer Sätze, und dabei spie sie das »Du« wie gegen eine Wand, drosch es ihm hin. Sicher, er konnte ihr kein Leben bieten, aber es war Krieg, und sie hatten hier doch immerhin genug, um nicht zu verhungern. Das Spärliche, was Ella aus dem Dorf an Neuigkeiten mit nach Pildau brachte, schien auf bittere Not allüberall zu deuten. Waren nicht sein Zucker und sein Mangold, das nächtliche Jäten und Ernten, zuletzt seine Aktien und der Schlepper, den er davon gekauft hatte, war das alles nicht immerhin etwas? Und jetzt, da ihm alles vermacht war, konnte das nicht etwas in Ellas Zorn ausrichten? Er beobachtete sie wieder von der Scheune aus, wenn sie vor das Haus trat, Kübel leerte, am Brunnen die Wäsche machte oder Holz hackte. Sie konnte immer noch arbeiten, sie war immer noch die Frau, der er einen Brief aus der Stadt geschrieben hatte, alles war

Weitere Kostenlose Bücher