Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
Vom Netzwerk:
es in meiner Erinnerung ein wunderbarer Tag war, einer dieser großen Herbsttage, die jeder kennt. Alles um uns leuchtete, das Dach unseres Hofes, die Blätter der Birken, die Körper der Rauchschwalben, die in großen Keilen über uns Richtung Süden flogen und die durch die Stange entstandene Lücke in ihrer Formation schnell wieder schlossen. So ein Tag voll alter Wärme in dem Holz war das, und ich bin mir sicher, dass der Großvater ihn deswegen ausgesucht hatte. Ich freute mich für ihn. Es musste jetzt herrlich sein, dort oben.
     
    Unsere schweigende Wache hielt wie das Hochdruckwetter vielleicht eine Woche, eine Woche, in der wir an der Stange schliefen und Zuckerkaffee tranken, in regelmäßigen Abständen daran klopften, dem Klopfen nachhorchten und immer wieder ohnmächtig wurden, vor lauter In-den-Himmel-Starren. Als dann der Regen kam, gaben wir einer nach dem anderen auf, erst mein Vater, danach ich, Lada blieb noch zwei Nächte, sie hatte sich einen kleinen Verschlag gebaut, aber eines Nachts stand sie in meinem Zimmer und kroch nass und kalt zu mir ins Bett, und damit war die Geschichte von Ludwig Honigbrod an ihrem Ende.
     
    Ich dachte in den nächsten Jahren an manchen Tagen, es würde ein wenig von dem Steinmehl in der Luft um die Stange flirren, sie würde ein wenig deutlicher pochen, aber mein Vater wollte nichts mehr davon hören. Der Aufstieg meines Großvaters in den Himmel, das war für ihn wie eine geschriebene Sache, es gab daran nichts mehr zu ändern, man würde es nur weitergeben, wie die Geschichten in Cambridge, die Gedenktafel für Papst Poppo. Wir längten nach diesem Tag die Stange nicht mehr. Es hat nie jemand ausgesprochen, aber ich glaube, es lag daran, dass wir fürchteten, eine Bewegung der Stange könnte Überreste des Großvaters oder ihn selbst abwerfen. Zum anderen war die Stange auch einfach zu schwer für uns. Mein Vater konnte zwar die Hydraulik bedienen, aber die hatte schon die letzten Male nur mehr unwillig gehoben, der Großvater selbst hatte immer wieder laut gedacht und gesagt, es müsste auch mal ein Ende haben, das wäre schon immer so gewesen. Nun, was wäre ein besseres Ende als eine letzte, feierliche Begehung, von unten bis oben?
     
    Wesentlich dringendere Auswirkungen hatte sein Verschwinden für Haus und Garten. Es war Herbst und damit die Zeit, die unseren Winter machte. Der Großvater hätte jetzt eingelegt, Karotten und Kartoffeln in Holzkisten zum Überwintern gelegt, er hätte getrocknet und eingekocht, und auch wenn wir ihm bei diesen Dingen zur Hand gegangen waren, so war doch keiner da, der von sich aus so recht wusste, was als Nächstes zu tun wäre und wo es eigentlich begann. Lada entwickelte anfangs einen gewissen Eifer in der Küche und brachte tatsächlich Eintopf und Pfannkuchen zusammen, während ich eher nach meinem Vater kam und kaum zwei Eier gerade aufschlagen konnte, wenn der Großvater nicht das Kommando dazu gab. Aber es war mit Ladas Kochlust wie mit all ihren Launen, nach einer Woche schon erschien sie nur noch gelegentlich in der Küche, und unsere gemeinsamen Abendessen wurden bald zu unerquicklichen Zusammentreffen zwischen meinem Vater und mir, wir taten uns beide gleich schwer mit dem Ablegen von Gewohnheiten. Er hatte sich seit dem Vorfall in seinem Arbeitsstall verkrochen, kam auch abends nur kurz in die Küche, um nach einigen aufmunternden Phrasen wieder zu verschwinden, in der Hand irgendetwas, das er in der Vorratskammer gefunden hatte. Lada lag lesend auf ihrem Bett oder trieb sonst was, sie hatte jetzt oft die Tür versperrt. Ich saß mit dem Tonbandkoffer in der Kapelle und hörte meine Glitzerbänder, so wie es mir der Großvater als Letztes beigebracht hatte. Das erste gefundene Band war das irrste, der Mann, der so wütend war und doch wieder von der Musik eingeholt wurde, das konnte ich immer und immer wieder hören. Ein anderes Band hatte etwas wie eine Kirchenorgel, die bald von einem Trommler zerhackt wurde, bis irgendwann der Trommler ganz allein war und ein eigenes Gewitter lostrat, das ganz langsam ausklang, direkt danach flatterte das Band aus. Die Prozedur mit den Bändern war übrigens überaus mühsam, der Koffer hatte nur vier Leerspulen, und so musste ich ständig neue Bänder aufwickeln und andere sorgfältig abziehen. Es war mir ganz und gar rätselhaft, wieso die Musik an der Straße in den Bäumen hing, das waren doch überaus beeindruckende Darbietungen. Ein Lied, das ich eine ganze Woche lang

Weitere Kostenlose Bücher