Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
vielen Dingen jenen zwei Tagen, in denen ich mit Lada unter den Decken gewohnt hatte. Das Haus gehörte uns, der Vater gab nichts vor, nur die Zeit, zu der er mit der Gutenmorgengeschichte kam. Wir zogen wild herum, niemand kannte uns, und nichts kannten wir, wir hatten nur die Bücher, die Reste des Hoflebens und die Straße. Ich weiß genau, wie die Lene schaute, als sie noch einmal kam, ein Freitag im August, wenn der Kalender damals noch stimmte. Ich weiß es so genau, weil ich, als sie in der Küche stand, klein und blass, zum ersten Mal begriff, was sie uns eigentlich war. Sie war eine Jahreszeit, eine, die über Pildau kam und alles schnell und restlos blühen ließ, das war die Lene.
Sie schaute uns zu, wie wir streunten, als wären wir krank. Aber wir waren nur schmutzig, und der Hof sah eben aus wie das, was er seit einem Jahr war. Eine halb verlassene Hofstelle, in der ein aus der Bahn geworfener anglophiler Wissenschaftler lebte und zwei beinahe Waisenkinder. Sie blieb nur zwei Tage, in denen ich abends mit ihr auf dem Fußboden meines Zimmers lag und weinte, das mochten wir beide. Tagsüber ging sie mit meinem Vater Papiere durch, die nichts mit Oliven und Wein zu tun hatten, und fuhr mit ihm in die Stadt. Danach hatte alles einen neuen Namen. Lada hatte einen Platz in einem Mädcheninternat, man konnte mit dem Zug hinfahren, es gab Besuchszeiten, und sie musste glaubhaft so tun, als wäre sie katholisch erzogen worden. Die Erwähnung einer Papstgeburt im unmittelbaren Umfeld hätte allerdings beträchtliche Wunder gewirkt, erzählte mein Vater später. Es musste wirklich ein Wunder gewesen sein, denn ich kann mir bis heute nicht erklären, wie den Nonnen das Fehlen der Geburtsurkunde vorkam. Lada verbarrikadierte sich nach dieser Nachricht in ihrem Zimmer, mein Vater persönlich machte Dotterpfannkuchen, um sie zu locken, aber es war wohl eher der Zuckerkaffee, der sie hinaustrieb, jedenfalls hörte ich, wie sie in der zweiten Nacht hinunterschlich, sich erst im Garten erleichterte und dann Kaffee kochte. Für mich war ein Besuch im nächsten Gymnasium vorgesehen, ein Bus hielt im Dorf, und da ich der Einzige war, würde er für mich sogar an der Kurve halten, an der unser Weg einbog. Es wäre der letzte Halt auf der Strecke.
Das war die große Störung, die sich erst nur wie Zerstörung anfühlte. Wäre die Lene nicht noch einmal gekommen, hätte Pildau eine weitere Generation verstummter Genies produziert, die irgendwann die Flucht nach oben antraten. Aber das sehe ich erst heute. Damals kam es mir vor, als wäre alles, was ich so mühsam auf Pildau ausgemessen und gehalten hatte, mit diesem Tag zum Verkauf gestanden, als wären wir aus dem Fenster geworfen worden, wie die Damen und Päckchen der Lastwagenfahrer. Das war die Schuld der Opis, sie konnten solche Sachen entscheiden, ohne uns zu fragen, sie mussten nur mit dem Motorrad wegfahren, und wenn sie zurückkamen, war alles anders. Ich schrieb ins Tagebuch eine ganze Zeitlang solche Sätze: »Ich hasse das Wegfahren. Ich mag meinen Vater nicht mehr, auch wenn er mir mit der Hand so Zeichen gemacht hat, dass es die Idee von der Lene-Mama war. Aber er hat ja nicht mit mir auf dem Boden geweint. Sie hat.«
Da waren die zwei, drei wütenden Musikstücke, die anderen hörte ich nicht mehr. Ich kannte sie gut, jeden Ton wusste ich im Voraus, und das führte dazu, dass ich die Arme in der Sekunde davor schon in die Richtung warf, aus der der Ton kommen würde. Immer hin und her, immer ein bisschen voraus, später kamen die Beine dazu. Ich schüttelte mich mit aller Kraft, während die Klänge aus dem Tonbandkoffer von den Wänden der kleinen Kapelle hallten und ein endloses Echo erzeugten, das mich immer schneller Hände und Beine in seine Richtungen werfen ließ, bis das Band zu Ende war, und in der Stille hörte ich als Letztes das verklingende Echo meiner Stimme, die ich irgendwann auch mitwarf. Das tat gut, das fühlte sich an wie das alte Pildau, das hätte dem Großvater gefallen.
Daneben versuchte ich so viel Lada wie möglich zu haben. Ich wartete morgens, wenn sie aus ihrem Zimmer kam, begleitete sie im Abstand von einem Meter durch den Tag, klaute Kleinigkeiten von ihr, die sie nicht gleich merken würde. Mein Vater erzählte abends von seinen Internatsjahren, was auf Lada durchaus Eindruck machte, auch wenn sich die Anstalten ziemlich voneinander unterscheiden sollten. Aber da war etwas, das ich gar nicht kannte, eine Neugier auf das
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