Vorsätzlich verliebt
Stundenlanges Warten und Herumsitzen und verzweifelte Versuche, nach außen fröhlich zu tun, wenn es nichts gab, weswegen man fröhlich sein konnte. Endlose Versuche, noch eine weitere einseitige Unterhaltung zu führen, obwohl einem absolut gar nichts mehr einfiel, was man noch sagen konnte.
Als Erins Mutter schließlich gestorben war, hatte das zumindest bedeutet, dass die endlosen Krankenhausbesuche vorbei waren. Erin wäre glücklich gewesen, wenn sie diesen Ort nie wieder zu Gesicht bekommen hätte.
Zu spät. Andere Abteilung, anderes Personal, andere Patientin. Nur die Stühle waren dieselben. Erin setzte sich auf einen davon – Hartplastik in leuchtendem Orange, pobackenbetäubend – und eine junge, blonde Krankenschwester setzte sich auf den anderen, während Stella sich ins Bett legte. Die Schwester füllte das Informationsblatt in Stellas Krankenakte in gewissenhafter, schnörkeliger Handschrift aus. Und das überaus laaangsaaam.
»Religionszugehörigkeit?«
»Keine«, sagte Stella.
»Na schön, dann schreiben wir einfach Church of England?« Sie brauchte dreißig Sekunden, um das zu notieren. »Großartig. Wer ist Ihr nächster Angehöriger?«
Stella rollte das Krankenhauslaken unablässig zwischen ihren Fingern. Sie sah aus, als kämpfe sie Tränen nieder.
»Ihre Mutter? Ihr Vater?«, meinte die Schwester hilfreich. »Bruder oder Schwester?«
»Ich habe keine Verwandten.« Das Rollen nahm an Tempo zu. Stella sah zu Erin und meinte schroff: »Darf sie dich aufschreiben?«
Der Tonfall der kleinen Krankenschwester war beruhigend. »Das ist gut. Wer sind Sie?«
»Sie ist die Geliebte meines Mannes«, sagte Stella.
»Oh! Sollte ich dann nicht
ihn
als Ihren nächsten Angehörigen notieren?«
»Keine Ahnung, ich bin ihm egal. Und in Krankenhäusern ist er ohnehin nicht zu gebrauchen.« Stella schüttelte den Kopf. »Schreiben Sie Erin auf. Wie lange muss ich hierbleiben?«
»Oh, nun ja, das müssen die Ärzte entscheiden, nicht wahr?« Die Schwester befleißigte sich einer beschwichtigenden, um jeden Preis alle peinlichen Fragen umgehenden Art und eines beruhigenden Lächelns. »Dr. Wilson kommt gleich und wirft einen Blick auf Sie.«
Stella erklärte kurz angebunden: »Ich brauche mehr Schmerzmittel.«
»Kein Problem. Das regeln wir für Sie.«
Vor dem Krankenhaus setzte sich Erin auf eine Bank in der Sonne. Ihre Knie zitterten. Sie versuchte, Fergus auf dem Handy zu erreichen. Dieses Mal meldete er sich. »Hallo, mein Engel, wie geht es mit dem Packen voran?« Es war merkwürdig, seine Stimme zu hören, die so fröhlich und so normal klang. »Hör mal, hast du einen dreipoligen Stecker, ich kann meinen nicht finden …«
»Fergus, hör zu, es ist etwas passiert.« Zu spät wurde Erin klar, dass sie nicht überlegt hatte, was sie ihm sagen wollte. »Es geht um Stella.«
»O Gott, was hat sie jetzt wieder getan? Also gut, mir reicht es jetzt mit ihr. Wo bist du.«
»Im Krankenhaus.«
»Was? Mein Gott, bist du verletzt? Hat sie dich angegriffen?«
»Sie ist krank, Fergus. Sie hat mich nicht angegriffen. Sie muss sich hier untersuchen lassen.«
Fergus war hörbar verdutzt. »Na schön, aber ich begreife nicht … was machst
du
dort?«
Zurück auf der Station, waren die orange-blauen Vorhänge um Stellas Bett zugezogen. Plötzlich wurden sie schwungvoll aufgerissen und ein großer, ziemlich gutaussehender Mann in einem weißen Kittel tauchte auf. Als er Erin entdeckte, zeigte er auf sie: »Sind Sie Stellas Freundin?«
Sie hätte niemals geglaubt, das jemals zu hören. Erin nickte, mit trockenem Mund. Er bat sie, ihm zu folgen. »Lassen Sie uns kurz reden, während Stella Blut abgenommen wird. Ich bin übrigens Dr. Wilson.«
Er führte sie aus der Station hinaus und einen Flur entlang zu einem kleinen, fensterlosen Büro voller Fachbücher und Akten. Er bot ihr einen Platz an, setzte sich ihr gegenüber und sagte: »Tja, ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Ihre Freundin braucht jetzt Ihre ganze Unterstützung. Es tut mir sehr leid, und natürlich müssen wir heute Nachmittag noch einige Biopsien durchführen, aber laut der Computertomographie scheint sich der Krebs in sehr fortgeschrittenem Stadium zu befinden. Sie müssen jetzt stark sein. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, das ist ein Schock für Sie.«
Erin hatte das Gefühl, sich selbst im Fernsehen zu sehen. Als ob sie irgendwie versehentlich in einer Folge von
Grey’s Anatomy
gelandet wäre. Jetzt schien
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