Vorsätzlich verliebt
nicht der geeignete Moment, ihm zu sagen, dass sie gar nicht Stellas Freundin war und dass sie darüber hinaus dringend nach Hause musste, um für ihre Urlaubsreise zu packen.
»Aber Sie können den Krebs behandeln?« Erin konnte ihm nicht in die Augen schauen, darum betrachtete sie stattdessen seine langen Pianistenfinger.
»Natürlich werden wir alles Menschenmögliche versuchen. Aber leider sieht es nicht gut aus. Gar nicht gut, fürchte ich. Der Krebs hat bereits Metastasen gebildet. Auf dem Computerbild sieht man, dass er sich auf die inneren Organe, die Lunge und die Leber, ausgebreitet hat. Es handelt sich um eine sehr aggressive Form.«
Tja, jemand wie Stella hätte ja wohl auch kaum einen schüchternen, sich nicht ausbreitenden Krebs, oder? Erin zog ein Zellstofftuch aus der Schachtel auf dem Schreibtisch und wischte sich die verschwitzten Handflächen. Entsetzliche, peinliche, unwürdige Gedanken versuchten, sich in ihrem Gehirn nach vorn zu drängen. Denn selbstverständlich tat ihr Stella leid, aber Stella hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht … und was war mit Venedig und dem Palazzo aus dem 14 . Jahrhundert mit dem fabelhaften Dachgarten und dem konkurrenzlosen Blick auf den Canal Grande?
O Gott. Leber. Innere Organe. Lunge.
Aggressiv
.
Ihr wurde übel.
Ehrlich, was hatte sie schon für eine Wahl?
»Stornieren?« Fergus, der wusste, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, sah Erin an, als sei sie verrückt geworden. »Stella ist krank, und du willst deshalb
unseren Urlaub
stornieren?«
Sie standen vor dem Krankenhaus. Erin umklammerte seine Hände.
Wollen
hatte mit alldem nichts zu tun. »Wir müssen. Sie hat sonst niemand. Ich war heute Nachmittag bei ihr, als sie ihre Freundinnen Deedee und Kirsten anrief.«
Fergus schürzte die Lippen. »Die kenne ich.«
»Tja, sie sind zu beschäftigt, um sie zu besuchen. Wie sich herausstellte, hat Deedee in letzter Zeit zwei Pfund zugenommen, darum darf sie unmöglich das Abendtraining in ihrem Fitnessstudio verpassen. Kirsten hat im Job gerade unglaublich viel zu tun und muss außerdem die Handwerker beaufsichtigen, die ihre neue Küche vermessen. Und Amy hat einen neuen Mann gefunden. Das ist ja so schön für sie.« Erin hatte sich gerade noch zurückhalten können, Stella das Krankenhaustelefon nicht aus der schmalen, manikürten Hand zu reißen und ihre sogenannten Freundinnen anzubrüllen, sie sollten ihre selbstsüchtigen, knochigen Hintern gefälligst
sofort
herbewegen.
»Hör zu, ich bin auch schockiert. Aber es ist unser Urlaub. Und Stella war immer gemein zu dir.« Fergus runzelte die Stirn, dachte über ihre plötzliche Meinungsänderung nach. Nach Erins Anruf war er unverzüglich zum Krankenhaus gefahren. Sein Magen knurrte, und er war erschüttert. Stella war immer schon eine Drama-Queen gewesen. Höchstwahrscheinlich stellte es sich als etwas Kleines, leicht Behandelbares heraus. Erins Besorgnis rührte ihn. Meine Güte, wie viele hätten sich verhalten wie sie, nachdem Stella sie so schlecht behandelt hatte? Aber es bestand kein Grund, so weit zu gehen. »Hör zu, es ist großartig, dass du das anbietest, aber es ist schon in Ordnung. Wir sind nur eine Woche fort. Wenn sie danach noch im Krankenhaus ist, besuchen wir sie. Aber man weiß ja nie, womöglich ist sie bis dahin schon längst wieder zu Hause!«
Doch Erin wirkte nicht erleichtert. Ihr Gesicht war angespannt und bleich, ihr ganzer Körper starr. »Der Arzt hat mit mir gesprochen. Der Krebs ist wirklich sehr weit fortgeschritten, Fergus.« Ihr brach die Stimme. »Er ist
überall
.«
37. Kapitel
Apropos, ins kalte Wasser geworfen zu werden … Was an jenem Tag, als Erin überlegt hatte, was alles getan werden musste, so einfach und unkompliziert geklungen hatte, schien jetzt auf alarmierende Weise immer verzwickter. Erin blieb bei Stella im Krankenhaus, und Kaye musste ihren neuen Job einen Tag früher antreten, war darauf jedoch, wie sich herausstellte, herzlich wenig vorbereitet. Allein im Laufe des Vormittags brachte sie es fertig, eine herrische Frau mittleren Alters tödlich zu beleidigen, weil sie ihr nicht so viel Geld für die sehr männlich wirkende Tweedhose geben wollte, wie die Frau erwartete.
»So wenig? Das reicht nicht!« Die buschigen Augenbrauen der Frau hatten vor Empörung fast schon gezittert. »Ich habe neunzig Pfund für die Hose bezahlt.«
Gott, es war so schwer, die Leute nicht zu beleidigen, wenn sie sich Sachen aussuchten, die ihnen nicht
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