Vorsatz und Begierde (German Edition)
ihnen, daß die Heilige Jungfrau Maria gen Himmel gefahren ist, und die müssen das alle glauben. Ich kenne mich aus mit Dogmas.«
Doch ehe Jago abermals den Mund aufmachen konnte, um diesen Anspruch der Unfehlbarkeit in Frage zu stellen, sagte Rikkards rasch: »Dann haben Sie also am Sonntag nachmittag auf der Landzunge das Kirchenblatt ausgetragen. Wann genau?«
»Also, ich bin wohl so gegen 3 losgefahren, vielleicht auch ein bißchen später. Sonntags essen wir unser Dinner nämlich später als sonst, deswegen haben wir auch mit dem Korinthenpudding erst gegen halb 3 angefangen. Dann hat George das Geschirr in den Spüler gepackt, und ich hab mich für meine Liefertour angezogen. Sagen wir, um Viertel nach 3, wenn man’s genau nehmen will.«
»Um Viertel nach 3 warst du längst weg, Doris, Ich würde sagen, eher um zehn nach 3.«
»Ich glaube kaum, daß fünf Minuten eine Rolle spielen«, warf Oliphant ungeduldig ein.
George Jago warf ihm einen Blick wohlbemessenen Erstaunens und sanften Vorwurfs zu. »Das könnten sie aber. Sie könnten ausschlaggebend sein. Ich würde sagen, daß fünf Minuten bei einer Morduntersuchung durchaus entscheidend sein können.«
Auch Mrs. Jago verlieh ihrer Mißbilligung Ausdruck: »Eine einzige Minute könnte ausschlaggebend sein, wenn es sich um die Minute handelt, in der sie starb. Für sie selbst jedenfalls ausschlaggebend. Ich begreife nicht, wie Sie sagen können, daß das keine Rolle spielt.«
Rikkards fand es an der Zeit, abermals einzugreifen: »Ich gebe zu, daß fünf Minuten wichtig sein können, Mr. Jago, aber wohl kaum diese fünf Minuten. Vielleicht könnte uns Ihre Frau präzise schildern, was sie getan und was sie gesehen hat.«
»Also, ich bin auf mein Rad gestiegen. Sonst bietet mir George immer an, mich zu fahren, aber er muß in der Woche so viel fahren, deswegen mag ich ihn nicht bitten, den Wagen extra rauszuholen. Nicht am Sonntag. Nicht nach Braten und Korinthenpudding.«
»Es macht mir nichts aus, Doris. Das habe ich dir doch gesagt.«
»Ich weiß, George. Habe ich nicht gerade eben erklärt, daß du es mir immer anbietest? Mir tut ein bißchen Bewegung gut, und ich bin jedesmal vor Einbruch der Dunkelheit zurück.« An Rikkards gewandt, erklärte sie: »George mag es nicht, wenn ich im Dunkeln noch draußen bin – jedenfalls nicht, solange der Whistler lebte.«
»Dann sind Sie also zwischen zehn und Viertel nach 3 aufgebrochen und zur Landzunge hinübergefahren«, stellte Oliphant fest.
»Mit dem Kirchenblättchen im Korb, wie immer. Zuerst bin ich zum Caravan gefahren. Ich fahre immer zuerst zum Caravan. Obwohl es mit Neil Pascoe inzwischen ein bißchen heikel ist.«
»Wieso heikel, Mrs. Jago?«
»Na ja, er hat uns mehr als einmal gebeten, sein Blatt – Nuclear Newsletter nennt er es – in der Bar auszulegen, damit es die Leute kaufen oder auch kostenlos lesen. Aber George und ich waren immer dagegen. Ich meine, einige von unseren Gästen sind Angestellte von Larksoken, und es ist nicht sehr angenehm, mit einem Blatt konfrontiert zu werden, in dem es heißt, die Arbeit, die man verrichtet, sei schädlich und müßte beendet werden. Während man nichts weiter will als in Ruhe ein Glas trinken. Nicht jeder in Lydsett ist einverstanden mit dem, was er da tut. Dieses Kraftwerk von Larksoken hat Handel und Wandel im Dorf belebt und auch mehr Arbeitsplätze geschaffen. Und man muß Vertrauen haben zu den Menschen, meinen Sie nicht? Also, wenn Dr. Mair sagt, die Atomkraft ist ungefährlich, dann ist sie das vermutlich auch. Andererseits macht man sich so seine Gedanken, nicht wahr?«
»Aber Mr. Pascoe hat das Kirchenblatt abonniert?« fragte Rikkards geduldig.
»Na ja, es kostet nur zehn Pence, und ich nehme an, er möchte gern wissen, was in der Gemeinde so vor sich geht. Als er damals auf die Landzunge kam – zwei Jahre ist das jetzt ungefähr her –, hab ich ihn aufgesucht und gefragt, ob er das Blatt abonnieren möchte. Er schien ein bißchen erstaunt zu sein, sagte aber ja, bezahlte seine zehn Pence und bekommt es seitdem regelmäßig. Wenn er’s nicht will, braucht er’s mir nur zu sagen.«
»Und was ist beim Caravan passiert?« erkundigte sich Rikkards.
»Ich habe Hilary Robarts gesehen, wie ich schon sagte. Ich habe Neil das Blatt gegeben, das Geld kassiert und im Caravan noch mit ihm geplaudert, als sie in ihrem roten Golf angefahren kam. Amy war mit dem Jungen draußen, die Wäsche reinholen, die auf der Leine hing.
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