Vorsatz und Begierde
Fingerabdrücke nicht draufgewesen.«
»Meine aber auch nicht. Ich trug immer noch meine Handschuhe. Außerdem, warum sollten sie ihn untersuchen? Man mußte doch annehmen, daß der Mörder seinen eigenen Gürtel benutzt und wieder mitgenommen hatte. Nein, nein, das unwahrscheinlichste Versteck, das der Mörder wählen konnte, war im eigenen Haus des Opfers. Deswegen habe ich es getan. Und selbst wenn sie jeden Gürtel und jede Hundeleine auf der Landzunge untersucht hätten – ich glaube kaum, daß man von einem halben Zoll Leder, das von Dutzenden von Händen berührt worden sein muß, brauchbare Fingerabdrücke abnehmen kann.«
»Du hast dir eine Menge Mühe gemacht, um Ryan mit einem Alibi zu versorgen«, sagte Meg bitter. »Was ist aber mit den anderen unschuldigen Verdächtigen? Die waren alle in Gefahr und sind es noch. Hast du denn überhaupt nicht an die gedacht?«
»Mir ging es nur noch um den einen anderen, um Alex, und der hatte das beste Alibi von allen. Er mußte durch die Sicherheitskontrolle, um ins Kraftwerk zu gelangen, und noch einmal, wenn er es wieder verließ.«
»Ich dachte an Neil Pascoe«, entgegnete Meg, »an Amy, Miles Lessingham und sogar mich selbst.«
»Von euch ist keiner ein Vater mit vier mutterlosen Kindern. Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß Lessingham ein Alibi vorweisen konnte, aber es gab keine stichhaltigen Beweise gegen ihn. Wie denn auch? Er hat es schließlich nicht getan. Aber ich habe so ein Gefühl, daß er ahnt, wer es getan hat. Lessingham ist nicht dumm. Aber selbst wenn er es weiß, würde er es niemals verraten. Neil Pascoe und Amy konnten sich gegenseitig ein Alibi geben, und du, meine liebe Meg, kannst du dich als ernsthaft Verdächtige sehen?«
»Ich kam mir so vor. Als Rikkards mich vernahm, fühlte ich mich ins Lehrerzimmer der Schule zurückversetzt, vor diese kalten, anklagenden Gesichter, wo ich genau wußte, daß ich bereits abgeurteilt und für schuldig befunden worden war, und mich fragte, ob ich nicht tatsächlich schuldig war.«
»Das eventuelle Leid unschuldiger Verdächtiger, sogar das deine, stand sehr weit unten auf der Liste meiner Prioritäten.«
»Und nun läßt du es zu, daß man Caroline und Amy den Mord anhängt, die beide tot und beide unschuldig sind?«
»Unschuldig? In diesem einen Fall natürlich schon. Vielleicht hast du recht, und die Polizei findet die Annahme zweckdienlich, eine von ihnen oder beide zusammen hätten den Mord begangen. Von Rikkards’ Standpunkt aus ist es weit besser, zwei tote Verdächtige zu haben als gar keine Verhaftung. Und schaden kann es ihnen jetzt nicht mehr. Die Toten sind über jeden Schaden hinaus, den Schaden, den sie anrichten, und den Schaden, der ihnen angetan wird.«
»Aber es ist falsch, und es ist ungerecht.«
»Sie sind tot, Meg! Tot! Es kann nicht mehr wichtig für sie sein. Ungerechtigkeit ist ein Wort, und sie sind über die Macht der Worte hinaus. Sie existieren nicht. Und das Leben ist ungerecht. Wenn du dich berufen fühlst, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu tun, konzentrier dich auf die Ungerechtigkeit gegen die Lebenden. Alex hatte ein Recht auf den Job.«
»Und Hilary Robarts – hatte die nicht ein Recht auf Leben? Ich weiß, sie war nicht gerade liebenswert, ja nicht mal besonders glücklich. Es gibt anscheinend keine engere Familie, die um sie trauert. Sie hinterläßt keine kleinen Kinder. Aber du hast ihr etwas genommen, was ihr niemand zurückgeben kann. Sie hat den Tod nicht verdient. Möglicherweise hat das keiner von uns, nicht auf diese Art. Wir hängen ja heutzutage nicht mal mehr jemanden wie den Whistler. Wir haben etwas gelernt seit Tyburn, seit Agnes Poleys Verbrennung. Nichts, was Hilary Robarts getan hat, könnte ihren Tod rechtfertigen.«
»Ich behaupte ja nicht, daß sie den Tod verdient hat. Es spielt keine Rolle, ob sie glücklich war oder kinderlos oder für irgend jemanden von Nutzen außer sich selbst. Ich sage nur, daß ich ihr den Tod wünschte.«
»Das kommt mir so furchtbar böse vor, daß mein Verstand davor versagt. Was du getan hast, Alice, war eine grauenhafte Sünde.«
Alice lachte. Es war ein so herzhaftes, fast fröhliches Lachen, als wäre ihre Belustigung tatsächlich echt. »Meg, du erstaunst mich immer wieder. Du benutzt Ausdrücke, die längst nicht mehr zum allgemeinen Wortschatz gehören, nicht einmal mehr zu dem der Kirche. Der tiefere Sinn dieses einfachen kleinen Wortes liegt außerhalb meines Begriffsvermögens. Aber
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