Vorsicht, frisch verliebt
sonst hätte sie den Zettel eindeutig längst vernichtet. »Geben Sie das her!«
Natürlich hielt er das Blatt so, dass sie es nicht erreichte. »Sie brauchen mich noch dringender, als ich bisher dachte.« Er begann den von ihr am Tag nach ihrer Ankunft erstellten Terminplan zu verlesen. »Aufstehen um sechs. Warum in aller Welt wollen Sie sich so was antun?«
»Offensichtlich will ich es ja gar nicht, denn schließlich habe ich bis acht geschlafen.«
»Beten, Meditation, Dankbarkeit und tägliche positive Gedanken«, fuhr er schnaubend fort. »Was sind tägliche positive Gedanken? Nein, sagen Sie es nicht.«
»Was soll das wohl schon sein? Eine wohlwollende Form der Gedankenkontrolle. Um ein Beispiel zu nennen: ›Egal, wie sehr mir Lorenzo Gage auf die Nerven geht, werde ich nicht vergessen, dass auch er ein Geschöpf des lieben Gottes ist.‹ Vielleicht nicht gerade eins Seiner allerbesten Werke, aber ...«
»Und was soll dieser Unsinn, dass Sie nicht vergessen wollen, ruhig und gleichmäßig zu atmen?«
»Das ist kein Unsinn. Es ist eine Erinnerung daran, sich nicht aus dem inneren Gleichgewicht bringen zu lassen.«
»Was auch immer das bedeutet.«
»Es bedeutet, allzeit Ruhe zu bewahren. Sich nicht von jedem Windstoß umwehen zu lassen.«
»Klingt ziemlich langweilig.«
»Manchmal ist Langeweile durchaus nicht zu verachten.«
»Toll .« Er trommelte mit den Fingerspitzen auf den Zettel. »inspirierende Lektüre‹. Wie zum Beispiel Neue Post?«
Sie ließ ihm seinen Spaß.
»›Sei spontan‹.« Er zog eine seiner wohlgeformten Brauen in die Höhe. »Das wird garantiert passieren. Allerdings sollten Sie nach diesem Plan längst schreiben.«
»Ich bin noch beim Planen.« Sie nestelte an einem Knopf ihrer Bluse.
Er faltete die Liste wieder zusammen und bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. »Sie haben keinen blassen Schimmer, was Sie schreiben sollen, stimmt‘s?«
»Ich stehe im Begriff, mir die ersten Notizen zu einem neuen Buch zu machen.«
»Und was für ein Thema soll dieses Buch haben?«
»Wie überwinde ich eine persönliche Krise.« Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam, und es war durchaus logisch.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
Seine ungläubige Miene rief leichten Ärger in ihr wach. »Damit kenne ich mich aus. Für den Fall, dass es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, ich stecke selbst gerade drin.«
»Das habe ich wirklich noch nicht bemerkt.«
»Genau das ist Ihr Problem. Dass Sie vieles nicht bemerken.«
Wieder stellte er sein nervtötendes Mitgefühl zur Schau. »Seien Sie doch mal locker, Isabel. Nehmen Sie sich frei, und versuchen Sie nicht, alles zu regulieren. Entspannen Sie sich, und haben Sie zur Abwechslung einfach mal ein bisschen Spaß.«
»Und wie soll ich das machen? Oh, warten Sie, ich weiß. Indem ich mit Ihnen ins Bett hüpfe, nicht wahr?«
»So würde ich es an Ihrer Stelle machen, aber ich schätze, jeder hat seine ganz persönliche Vorstellung von Amüsement. Also suchen Sie sich halt aus, was Ihnen Spaß macht. Nein, wenn ich es mir genauer überlege, wird es sicher besser funktionieren, wenn Sie mich entscheiden lassen.«
»Vielleicht sollten Sie allmählich anfangen zu laufen.«
Stattdessen lehnte er sich bequem auf seinem Stuhl zurück. »Sie haben eine Menge durchgemacht im letzten halben Jahr. Meinen Sie nicht auch, Sie hätten eine kurze Verschnaufpause verdient?«
»Das Finanzamt hat mich finanziell vernichtet. Ich kann mir eine Verschnaufpause nicht leisten. Ich muss meine Karriere wieder in Schwung bringen, um mir meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Und Arbeit ist der einzige Weg, auf dem mir das gelingt.« Noch während sie dies sagte, spürte sie, wie ein Gefühl der Panik in ihr aufstieg.
»Es gibt mehr als eine Form der Arbeit.«
»Sie meinen, dass ich mich auch einfach flachlegen lassen kann.«
»Wenn Sie wollen, dürfen Sie auch das gerne tun.«
Sie seufzte leise.
Er erhob sich und spähte zum Olivenhain. »Was machen denn Massimo und Giancarlo da unten?«
»Je nach Übersetzung hat es was mit einem Brunnen oder einer neuen Abwasserleitung zu tun.«
Er gähnte. »Ich trabe also jetzt mal los, und dann reden wir beide mit Tracy. Widersprechen Sie mir nicht, wenn Sie nicht den vorzeitigen Tod einer schwangeren Frau und ihrer vier nervtötenden Kinder auf dem Gewissen haben wollen.«
»Oh, ich hatte gar nicht die Absicht, Ihnen zu widersprechen. Schließlich lasse ich mir Ihre endgültige Kapitulation nicht
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