Vorsicht Nachsicht (German Edition)
es etwas gebracht, wenn Kilian das Gespräch mit ihm anfängt. »Du solltest nicht auf ihn sauer sein, sondern auf mich.«
»Sollte ich nicht selbst entscheiden dürfen, warum ich auf wen sauer bin?«
»Natürlich«, murmelt er und fokussiert seinen Blick auf mein Glas. Seine Anspannung ist ansteckend. Unruhig rutsche ich hin und her. Schließlich seufzt er. »Das mit der Wette stimmt, aber das hast du dir sicher schon denken können. Jeremy war langweilig… Es war seine Idee. Wir waren da schon drei Jahre zusammen.«
Ich rechne im Kopf nach und komme zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die beiden insgesamt sechs Jahre zusammen gewesen sind. Das ist für mich eine enorme Leistung. Darum bin ich auch erst einmal sprachlos und lasse ihn weiter reden. Ich wundere mich überhaupt, dass er es mir erzählt. Offenbar will er reinen Tisch machen.
»Es stand sechs zu zwölf am Ende. Und einer von den zwölf war dein Cousin«, gesteht er leise. »Ich kann nicht behauptet, dass es mir damals keinen Spaß gemacht hat. Es war spannend und… irgendwie hat es mir auf eine perverse Art gefallen. Man fühlte sich überlegen. Es blieb auch nicht die einzige Wette zwischen Jeremy und mir.«
»Warum erzählst du mir das?«, unterbreche ich ihn.
Er seufzt. »Damit du es weißt. Lieber erzähle ich es dir, bevor dein Cousin mit neuen Dingen auftrumpfen kann. Ich will, dass du es von mir weißt und dann wirklich entscheiden kannst, ob du das mit uns weiterführen oder lieber die Finger von mir lassen willst.«
Ich zucke unglücklich mit den Schultern. Keine Ahnung, ob ich das, was noch kommt, hören will. Ich binde ihm ja auch nicht mein ganzes Leben auf die Nase… Zumindest nicht alles Schlimme auf einmal.
Kilian scheint meinen Gedankengang mitverfolgt zu haben. »Ich bleibe bei den großen Brocken und es sind nur drei, okay? Wie gesagt, blieb es nicht bei der einen Wette. Es gab auch noch andere. Ausgang der letzten Wette war, dass Jeremy bei dem Opfer blieb. Wir haben uns vor drei Jahren getrennt. Damit hatten sich die Wetten erledigt. Brocken Nummer zwei: Ich habe mich danach nicht unbedingt zurückgehalten. Ich hab‘ zu der Zeit so ziemlich mit jedem geschlafen, der mich gewollt hat. Das habe ich immer noch nicht ganz abgelegt. Es ist irgendwie eine Angewohnheit geworden. So wie auch gestern mit diesem Freund von deinem Cousin. Also kurz gesagt: Ich war eine ziemliche Schlampe.«
Es ist grotesk, das aus dem Mund des Mannes zu hören, den ich so toll gefunden habe. Ich nehme einen großen Schluck Cola und warte unwohl auf Brocken Nummer drei. Ernsthaft: Ich will das nicht hören. Wieso muss ich mir das antun?
»Nummer drei: Jeremy ist HIV positiv.« Er seufzt und starrt wieder auf mein Glas, dass ich nun in meinen Händen halte und nervös drehe. »Er hat es mir vor einem halben Jahr gestanden, als er beschlossen hat nach Berlin zu ziehen. Wir haben früher nicht selten ungeschützt miteinander geschlafen und er wusste nicht, wie lange er es schon hat. Ich hatte also nicht unbegründet Angst, dass ich es auch habe. Es gibt auch einige, die von Jeremy wissen und behaupten, ich hätte es.«
Und ich habe jetzt auch Angst. Vielen Dank für die Warnung. Mein Mund wird trocken. Mein Geist fängt an zu rotieren. Trotz Gummi. Verdammt! Bitte nicht!
»Aber ich habe es nicht«, kommt der erlösende Zusatz. »Ich habe mich gleich zweimal testen lassen. War beide Male negativ. Dennoch, es hat mich zum Nachdenken gebracht und mir ist klar geworden, dass ich das nicht mehr will. Dieses leichtfertige Leben ohne Morgen. Es gibt ein Morgen. Das habe ich begriffen. Und…« Er sieht mich direkt an. »Und ich… mag dich wirklich. Mir gefällt deine Art sehr. Du bist so…«
Verwirrt erwidere ich seinen Blick. Wie sind wir denn jetzt plötzlich auf meine Person gekommen? Waren wir nicht dabei, dass er sich verändern will? Bin ich etwa Teil dieser Veränderung? Moment… Das hört sich aber nicht wirklich schmeichelhaft an!
»Du hast es selbst gesagt. Du bist nicht leichtlebig, aber trotzdem faszinierst du mich. Ich will dich besser kennen lernen.«
»Etwa als Vorbild?«, frage ich entsetzt. Soll ich jetzt Lebemännern Nachhilfe im Langweiligsein geben? Mir gefällt er ganz gut so, wie er ist. Die meisten Freunde von Torben huren herum. Ich fand das immer okay und habe sie um ihre lockere Einstellung beneidet, weil ich selbst immer verkrampft bin. Kilian lacht leise und entspannt die Atmosphäre damit kolossal. »Nein, nicht direkt.
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