Vorstadtprinzessin
an ihre Fersen. Vielleicht könnten du und ich einfach öfter in der Nähe der Bushaltestelle herumlungern.«
»Verarschen kann ich mich selber«, sagte Lucky.
»Das ist einfach ein idiotischer Plan.«
»Sag mir einen besseren.«
»Zogen einst fünf wilde Schwäne«, stimmten die drei Sänger an. Ihr Vortrag schien von keinem Zweifel getrübt zu sein, dass ihnen alle gern zuhören wollten. Theo blickte sich um. Tanja war wohl gegangen.
Die Wirtin kam mit einem Literkrug Wein aus dem Lokal und stellte ihn vor die Sänger. Sie wirkte angestrengt.
»Warum der Laden wohl Lichtgrün heißt«, sagte Theo, »Feuerrot wäre doch viel treffender.«
Lucky sah ihn verwundert an. »Ach, die Haare«, sagte er schließlich.
»Vielleicht sollten wir Leni ins Kreuzverhör nehmen«, schlug Theo vor.
»Leni hat Haare wie gesponnenes Gold«, sagte Lucky, »überall.«
»Klingt nach Grimms Märchen«, sagte Theo, »also Kreuzverhör?«
»Sie wird uns die Augen auskratzen.«
»Klingt auch nach Grimms Märchen.«
»Traust du dir ein Kreuzverhör mit Leni zu?«, fragte Lucky.
»Können wir doch nett gestalten«, sagte Theo. »Ein, zwei Glas Wein trinken. Kein Literkrug. Sie soll ja noch was sagen.«
»Wer soll sie dazu einladen?«
»Du«, sagte Theo, »du warst doch schon ganz nah dran an Leni.«
Lucky nickte. »Ich versuche es«, sagte er.
Die Sänger kündigten ein schwedisches Mittsommerlied an.
Theo und Lucky würden heute nicht alt werden hier.
Der Kommissar saß auf seinem Balkon und dachte an den Wald, durch den er heute gegangen war. Ein stiller dunkler Wald. Keine Leiche.
Er ahnte nicht, dass in diesem Augenblick ein Eichhörnchen starb. Durch einen Biss in den Nacken. Ein Baummarder, der dem Tierchen den Tod zufügte. Es hätte Lüttich auch nur am Rande interessiert.
Eben hatte die alte englische Wanduhr seiner Eltern zwölf geschlagen.
Mittsommer war vorbei. Der Kommissar atmete auf.
Vermisst
M ax meldete sich nicht. Leni versuchte ständig, ihn auf dem Handy zu erreichen. Doch das versuchten auch Lucky und seine Mutter, Mia und der Kommissar. Max war wie vom Erdboden verschluckt.
Luckys Mutter sortierte die Fotos, die sie noch nicht ins Album geklebt hatte. Viele Fotos von Max. »Quäl dich doch nicht«, sagte Lucky.
Die kleine Schwester war kaltschnäuziger. Vielleicht auch wütend auf den großen Bruder, der ihnen allen Kummer bereitete, Leid bescherte.
»Scheiß auf Max«, sagte sie. Doch sie tippte weiter seine Nummer ein.
Lucky rief den Kommissar an und bat ihn um Hilfe. Die kleine Fahndung verlief im Sande. Für die große Fahndung war Max ein zu kleiner Fisch.
Lüttich suchte die Seilerstraße auf. Dirk Kringel stand in der Tür. Die Knochenfrau war nicht mehr da. Kringel zuckte die Achseln.
Auch Lucky fuhr auf den Kiez und trat beinah die Tür ein in der Seilerstraße.
»Tut mir echt leid für dich«, sagte Kringel. »Keine Ahnung, wo dein Bruder steckt. Hab mit seinen Geschäften nichts zu tun.«
Er gab Lucky die Kulturtasche mit, die T-Shirts und eine ziemlich zerschlissene Jeans. Tut mir echt leid für dich. Eine beschissene Aussage. Lucky schmerzte es noch im Nachhinein, dass er Theo diesen Satz zugemutet hatte.
Leni war völlig weichgeknetet, als Theo und Lucky sie um ein Gespräch baten. Sie trafen sich im Tre Castagne und Leni erzählte bereitwillig von den Verabredungen. Dem Geld, das sie Max gegeben hatte. Und dass Max von einer großen Sache gesprochen habe.
»Sag Mama, dass ich Zeit brauche, um über meine Zukunft nachzudenken«, hatte Max vor vierzehn Tagen zu Lucky gesagt.
Leni und Lucky suchten den Tapasladen in der Schanze auf und Eis Meier. Als ob Max dort Spuren hinterlassen hätte.
Sie kamen sich beinah nah. Viel näher als am Seechen. All diese Spielchen, die Wichtigtuereien waren ohne Bedeutung, wenn einer verloren ging. Es wurde Juli. Keine Spur von Max.
»Die Mutter der Toten hat mich angerufen«, sagte Lüttichs Kollegin Imke. »Sie vermisst Sarahs Gitarre.«
»Das fällt ihr jetzt erst auf?«, fragte der Kommissar.
»Sie hat sich heute zum ersten Mal in Sarahs Zimmer getraut. Vorher waren nur wir drin. Und wir haben nach keiner Gitarre gefragt.«
»Fährst du hin?«, fragte Lüttich.
»Ja«, sagte Imke. »Lass uns uns danach mal zusammensetzen.«
»Vielleicht hatte Sarah die Gitarre verliehen«, sagte Lüttich. Doch er glaubte selbst nicht so recht daran. Wäre das Instrument dann nicht längst wieder da? Kaum vorstellbar, dass ein Freund oder eine
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