Vorstadtprinzessin
empfindlich gewesen waren wie seine?
Ma hielt sie im Arm. Einmal auch Pa, der meistens der Fotograf war.
Tante Ebba hatte Annika hoch in die Luft gehoben und beide hatten gejauchzt. Alle sahen sie glücklicher aus, als Theo sie kannte.
Auf seinen Kinderfotos sahen sie traurig aus.
Von ihm gab es nur lose Bilder in einem Karton. Seinen Eltern war die Lust an Alben wohl vergangen.
Bei Ellerbek standen auch keine im Bücherbord. Ein paar zerlesene Schmöker und fünf Bände vom Brockhaus. Pa hatte die gleichen Lexika, allerdings einen jüngeren Jahrgang. Ansonsten nur Porzellanfiguren. »Meine Schäferinnen«, hatte der Alte sie genannt.
Theo setzte sich in den Sessel, in dem Pa gesessen hatte und der Ellerbeks Lieblingsplatz gewesen war, und ließ den Blick durch das Wohnzimmer wandern. Hier hatte der Alte Tag für Tag gesessen und darauf gehofft, dass Jan zur Tür hereinkam. Er hatte seinen Sohn geliebt. Trotz des Geschehens im Wald. Wie lang war das her? Länger als vierzig Jahre.
Er sah zum Fenster, an dem vergilbte Gardinen hingen. Dabei hatte Ellerbek gar nicht geraucht. Draußen trüber Himmel. Das war es wohl gewesen mit dem guten Ferienwetter.
Theo hatte das komische Gefühl, dass etwas fehlte. Ellerbek, dachte Theo. Klar, der fehlte. Er vermisste den alten Mann.
An der Wand hing ein Bild, das vorher nicht da gewesen war. Eine großformatige Zeichnung. Billig gerahmt. Theo stand auf.
Eine Skizze von der Kirche, in der Theo getauft und konfirmiert worden war. Ein langweiliges Bauwerk aus den Fünfzigerjahren. Keines, wovon man sich eine Zeichnung an die Wand tat. Schon gar keine schlechte.
In dem Augenblick wusste Theo, was da fehlte.
Er nahm das Bild von der Wand und sah die Umrisse der kleinen alten Pendeluhr, die dort gehangen hatte. Ein heller Fleck auf der Tapete.
An Ellerbeks Todestag war sie noch da gewesen. Ma hatte tagelang davon gesprochen, dass die Uhr stehen geblieben war.
»Eine Botin des Todes«, hatte sie gesagt. Typisch Ma.
Theo beschloss, einmal durch das ganze Haus zu gehen. Auch in das obere Stockwerk, das er nie betreten hatte. Er tat so, als sähe er sich alles genau an, aber eigentlich suchte er nur nach der Uhr. Doch wer sollte sie auf das Ehebett gelegt haben, dessen linke Seite nur eine nackte Matratze war? Sie in das Zimmer unterm Dach getragen haben?
Ein Glück, dass Ellerbek an jedem Fenster Gardinen hatte. Vielleicht hätte ihn Ma sonst gesehen, wie er da oben am Giebelfenster stand und zu seinem eigenen Zimmer hinüberblickte, das auf gleicher Höhe lag.
Das Zimmer war leer. Bis auf einen großen Koffer, der sich nicht öffnen ließ. Theo hob ihn an. Ein schwerer Koffer. Vielleicht gehörte er Jan Ellerbek. Jans Besitztümer an Land.
Aber das ganze Haus gehörte ihm. Der Garten. Die Ligusterhecke.
Theo stieg die Holztreppe hinunter. Bei ihnen lag ein Kokosläufer auf dem gewachsten Holz. Hier war die Treppe in einem hellen Blau lackiert, das in der Mitte viel begangen und abgestoßen war.
Ein ähnliches Haus wie ihres. Nur das Grundstück wirkte größer. Dort wo Ellerbeks Hecke war, stand bei ihnen die Garage.
Es wirkte viel älter, dieses Haus. Weil ein alter Mensch hier gelebt hatte?
Vielleicht zog Jan Ellerbek bald mit Frau und Kindern ein.
Theo ging in den Keller hinunter, um leise davonzuschleichen. Er hätte Pa gerne davon erzählt, dass die Pendeluhr fehlte. Doch dann hätte er ihm das Geheimnis der Kellertür preisgeben müssen.
»Du spinnst«, sagte Lucky. »Soll ich die Tür aufbrechen?«
»Hab dich nicht so«, sagte Leni, »du bist doch Handwerker.«
Lucky dachte nicht im Traum daran, ihr von der Kellertür zu erzählen. Das tat er Theo nicht an. Weder das eine noch das andere.
Er hatte Bauklötze gestaunt, als Leni in die Werkstatt gekommen war. Der Lexus von Lenis Vater stand auf der Hebebühne. Zur Inspektion bereit. »Paps fragt, wie weit du bist«, hatte sie gesagt.
Paps war mal wieder verreist. Das wusste Lucky vom Werkstattmeister.
»Keine Eile«, hatte der gesagt, »der Kunde kommt erst Montag.«
»Ich habe gedacht, du hättest mich nicht mehr auf dem Zettel«, sagte Lucky.
»Ich hatte viel zu tun«, sagte Leni.
Theo entjungfern. Max nachsteigen.
»Hast du Kontakt zu Max?«, fragte Lucky. »Er hat Anfang September einen Gerichtstermin.«
»Dann bin ich in Frankreich. Darum will ich ja mit dir Abschied feiern.«
»Aber doch nicht im Haus vom alten Ellerbek.«
»Das merkt doch keiner«, sagte Leni.
»Theo wohnt
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