Vortex: Roman (German Edition)
bekommen. Hatte Vox-Core sich gemeldet? Ich fragte Allison.
»Kurz«, sagte sie.
»Irgendwelche Lebenszeichen?«
»Nur von Isaac.«
Die Wolken rissen auf, und wir sahen gut hundert Meter unter uns Vox-Core. Die Schäden waren unübersehbar – die Oberflächen von Wänden und Türmen wirkten erodiert, fast geschmolzen –, doch der größte Teil der Stadt war intakt. Unsere Maschine schlingerte auf den nächsten Turm zu und landete zusammen mit einem Schwall toxischer Luft auf einer offenen Parkbucht.
Sowie die Außenluft wieder atembar war, half Allison mir zur Luke.
Isaac erwartete uns schon. Er hatte deutliche Fußspuren auf dem Deck hinterlassen, das mit einem mehligen Belag überzogen war. Der Staub, sagte er, sei das Einzige, was von den Maschinen der Hypothetischen übrig sei. Sie waren gekommen, um Vox zu fressen, zu zerlegen und zu katalogisieren, Molekül um Molekül, und er hatte ihre prozessualen Protokolle geknackt, indem er aus der Tiefe des Coryphaeus hochexplosiven Code gesendet hatte. Aber er war zu langsam gewesen.
»Die Menschen waren zuerst an der Reihe«, sagte er.
Niemand lebte mehr. Niemand außer uns drei blutbefleckten Zeugen des Untergangs. Wir fuhren in die uralte Stadt hinunter, um zu warten.
31
SANDRA
Sandra erzählte Kyle von dem Heim am Stadtrand von Seattle. Es würde ihm bestimmt gefallen, es sei dort nicht viel anders als in Live Oaks. Gute Ärzte. Große Zimmer. Ganz viel grüner Rasen und auch ein bisschen Wald, dieser grüne, nasse Wald der Westküste. Und nicht so heiß wie hier.
Obwohl auch Houston an diesem Morgen angenehm kühl war. Sie hatte Kyle aus seinem Zimmer in den Hain am Bach gerollt. Der Himmel war blau. Es wehte eine sanfte Brise. Die Lebenseichen steckten die Köpfe zusammen.
Kyle sah mager aus. Die Ärzte hatten gesagt, sie seien dabei, seine Ernährung umzustellen, um ein kleineres aber hartnäckiges Verdauungsproblem zu lösen. Doch heute war Kyle mild gestimmt; er bedachte das Wetter oder Sandras Anwesenheit oder den Klang ihrer Stimme oder gar nichts davon mit einem Seufzen.
Kyles Vermögensverwalter hatten ihrem Umzugsplan zögernd zugestimmt und standen nun mit dem Heim in Seattle in Verhandlung. Und was sie selbst betraf … Bose war geduldig gewesen und hatte sie ermutigt, aber es war eben ein völlig neues Leben, auf das sie sich einließ. Doch das bisherige war ein für allemal zu Ende.
Für Bose war es nicht anders. Das Feuer im Findley-Lagerhaus war inzwischen Gegenstand der Bundesermittlungen, die sich mit dem Drogenring befassten, den Findley bedient hatte. Das FBI hatte Bose als »Person von Interesse« vorgeladen, was bedeutete, dass er eine Zeit lang untertauchen musste, aber das war kein Problem: Seine Freunde wussten, wie man jemanden unsichtbar machte. Er hatte Sandra gebeten mitzugehen, ohne Vorbedingungen, als Freundin oder Partnerin. Seine Freunde würden ihr helfen, Arbeit zu finden.
Sie hatte einige von ihnen kennengelernt, einige von den Menschen, die die Langlebigkeitsbehandlung im Sinne der Marsianer praktizierten, zuerst das Paar mittleren Alters, das Orrin und Ariel aus Houston weggebracht hatte, und später noch andere in Seattle.
Es schienen grundanständige Menschen zu sein, die zu ihren Überzeugungen standen. Die einzige Rettung für diese überhitzte und gleichgültige Welt sahen sie in einer neuen Art, Mensch zu sein, und die Vierten-Behandlung sei ein Schritt in diese Richtung. Behaupteten sie jedenfalls. Schwer zu sagen, ob sie falschlagen oder nur naiv waren.
Und dann war da Bose, der viel zu früh und nicht freiwillig zum Vierten geworden war. Das eine oder andere, was sie an ihm mochte, verdankte sich wahrscheinlich dieser Behandlung: seine innere Ruhe, seine Großzügigkeit, sein Sinn für Gerechtigkeit. Aber das meiste an Bose war einfach nur – Bose. Sie hatte sich in ihn verliebt und nicht in seine Chemie oder sein Nervenkostüm.
Er hatte ihr jedoch klipp und klar zu verstehen gegeben, dass eine Vierten-Behandlung für Kyle nicht infrage kam. Bose hatte sie nur bekommen, weil sein Leben anders nicht zu retten gewesen war, und Kyle war vor allem deshalb ungeeignet, weil ihn die Behandlung nicht wirklich heilen würde. Sie würde aus ihm ein Kleinkind im gesunden Körper eines Mannes machen, und das vermutlich für immer. Eine Behandlung konnten Boses Freunde – nach noch so vielen Gesprächen und ethischen Debatten – einfach nicht gutheißen.
Kyle sackte in sich zusammen, den Kopf zur Seite
Weitere Kostenlose Bücher