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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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stieß. Noch höhere Anforderungen bedeuteten Flugunfähigkeit.
    »Schneid ihn mir raus«, sagte ich zu Allison.
    Wir befanden uns im vorderen Teil der Maschine und sahen zu, wie die Welt unterging. Allison verzog angewidert das Gesicht.
    »Bitte!«, bedrängte ich sie. »Du hast gesagt, die Maschine kann auch ohne meine Hilfe nach Vox zurückfliegen.«
    »Ja, aber …«
    »Dann schneid mir bitte den Knoten raus.«
    Sie dachte nach. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich habe doch keine sterilen …«
    »Mach es unsteril«, fiel ich ihr ins Wort. »Du hast es mir versprochen.«
    Sie sah mich trotzig an, dann senkte sie den Kopf und nickte.
    Der Mann, den ich getötet hatte, war ganz sicher kein Unschuldslamm. Und mein Vater, dessen Vergehen durch meine Tat ans Licht kamen, erst recht nicht.
    Der Mann, den ich getötet hatte, war ein Herumtreiber namens Orrin Mather gewesen, der zwischen Raleigh und Biloxi ein halbes Dutzend Spirituosenläden ausgeraubt hatte, bevor er von meinem Vater angeheuert worden war. Bei all seinen Überfällen hatte er mit der Waffe gedroht und in drei Fällen sogar abgedrückt. Keines seiner Opfern starb, aber ein Mann blieb von der Hüfte abwärts gelähmt. Das alles weiß ich aus dem Prozess gegen meinen Vater.
    Mein Vater hat vielleicht nicht gewusst, dass der Mann, den er einstellte, ein Verbrecher war, aber überrascht hätte es ihn bestimmt nicht. Er hatte nämlich die Gewohnheit, seine Leute aus der Gruppe von Schwarzarbeitern zu rekrutieren, die sich regelmäßig um den Busbahnhof von Houston sammelte. Er zahlte bar und verlangte lediglich, dass sie den Mund hielten. Erfuhr er vom zweifelhaften Einwanderungsstatus eines Mannes oder von dessen Strafregister, dann nutzte er sein Wissen, um sich die Loyalität des Betreffenden zu sichern. Im Allgemeinen stellte er solche Leute als Lagerarbeiter ein und »beförderte« sie in sensiblere Positionen, wenn sie eine akzeptable Kombination aus Nüchternheit und Servilität an den Tag legten. Nicht anders war es mit Orrin Mather.
    Ich wurde für mein Verbrechen nie verhaftet. Das Feuer ließ sich zwar zweifelsfrei auf Brandstiftung zurückführen, aber es gab keine Zeugen. Die Nachforschungen im Lagerhaus förderten dann Vorräte an hochsensiblen Substanzen zu Tage: chemische Verbindungen, die aus dem Mittleren Osten stammten und an einen Drogenring geliefert werden sollten, dessen Drahtzieher in New Mexico saßen. Als mein Vater in Untersuchungshaft kam, war ich längst abgereist; als er verurteilt wurde, war ich einfacher Seemann in der kürzlich erst wiederbelebten US-Handelsmarine und schrubbte das Deck eines Frachters, der nach Venezuela fuhr. Mein Vater wurde in drei Anklagepunkten für schuldig befunden, unter anderem wegen Verabredung zum unerlaubten Handel, und wurde nach fünf von den zehn Jahren, zu denen er verurteilt war, entlassen. Ich erfuhr das alles aus den Nachrichtensendungen. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.
    Aber wenn Allison recht hatte, war das alles nicht mir, sondern einem anderen widerfahren – dem ursprünglichen und eigentlichen Turk Findley, dem längst gelöschten Muster, nach dem ich rekonstruiert worden war.
    Und vielleicht stimmte es ja. Ja, vielleicht wollte ich, dass es stimmte.
    Aber wenn ich nicht der Mann war, der das Feuer gelegt hatte, der Mann, dessen Leben von dieser Tat geprägt worden war, der Mann, der seine Schuld aus der alten in eine neue Welt mitgenommen hatte, wenn ich nicht der von Selbstzweifeln geplagte Mann war, der jedes Vergnügen bereut hatte, der Mann, den ein verqueres Pflichtgefühl tief in die Ölfelder von Äquatoria geführt hatte – wenn ich nicht dieser Mann war, wer war ich dann?
    Allison holte den Medizinkoffer nach vorne und nahm den Eingriff »unter freiem Himmel« vor. Ohne den Kopf zu bewegen, konnte ich stahlwollgraue Wolken sehen, die sich an der Vorderkante des Transporters brachen. »Halt still«, sagte sie.
    Sie schnitt tief und schnell. Mein Blut besudelte ihre Hände und verklebte mein Haar. Die Schmerzen waren kaum zu ertragen, trotz der diversen Gele, die sie mir in die Wunde schmierte. Aber sie tötete das limbische Implantat und entfernte alle Teile, die sie erreichen konnte.
    Später, als sich der Transporter auf Vox einpeilte, hatte er mit so heftigen Turbulenzen zu kämpfen, dass ich spürte, wie das Deck unter uns vibrierte. Aufgrund fest installierter Protokolle hatte die Maschine bereits versucht, von Vox-Core Landeinstruktionen zu

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