Vortex: Roman (German Edition)
geistiges Eigentum aus … Aber warum nur sollte er so etwas tun?
Sie versuchte, die lästigen Fragen mit einem Schulterzucken abzutun; sie brauchte ihren Schlaf.
Bis zum Morgengrauen allerdings gelang es ihr, allenfalls drei Stunden richtig zu schlafen, was hieß, dass sie mit müden Augen und gereizt durch den Tag gehen würde. Und der würde wieder heiß werden, wie der Dunstschleier hinter dem Schlafzimmerfenster verriet – die Sorte Smog, die nur ein August in Houston zusammenbrauen konnte.
Im Auto versuchte sie, Bose über die Freisprechanlage zu erreichen, aber die Nummer schaltete prompt auf Voicemail um. Sie hinterließ Namen und Dienstnummer und fügte hinzu: »Ist es möglich, dass Sie mir die falsche Datei geschickt haben? Andernfalls sollte ich wohl besser Sie interviewen und nicht Ihren Schützling.«
Sandra arbeitete inzwischen lange genug für die Houstoner State Care, um ein Gespür für die Einrichtung zu haben: die interne Politik, den täglichen Arbeitsrhythmus. Sie spürte, wenn etwas in der Luft lag. Und an diesem Morgen lag etwas in der Luft.
Moralisch gesehen, hatte ihre Arbeit etwas Zwiespältiges. Der Kongress hatte das State-Care-System in den Wirren nach dem Spin etabliert, zu einer Zeit, da Obdachlosigkeit und psychische Erkrankungen epidemische Formen angenommen hatten. Die diesbezüglichen Gesetze waren gut gemeint gewesen, und es stimmte immer noch, dass Menschen mit einer ausgewachsenen psychischen Störung besser in der State Care aufgehoben waren als auf der Straße; die Ärzte bemühten sich aufrichtig, die pharmazeutischen Strategien waren aufeinander abgestimmt, und die Unterbringung war in der Regel sauber und gut überwacht. Doch allzu häufig wurden Menschen in die State Care abgeschoben, die dort nicht hingehörten: Kleinkriminelle, aggressive Bettler, ganz gewöhnliche, durch ökonomische Härten in chronische Verwirrtheit getriebene Menschen. Und trug man einmal den Stempel zwanghaften Handelns, war es äußerst schwer, wieder aus der State Care entlassen zu werden. Eine ganze Generation von Lokalpolitikern war dagegen zu Felde gezogen, Insassen einfach wieder »auf die Straße zu werfen«, und staatliche Resozialisierungsprogramme wurden von Aktivisten des Sankt-Florians-Prinzips torpediert. Was bedeutete, dass die Anzahl der Mündel ständig zunahm, während das Budget eingefroren blieb. Und das wiederum bedeutete, dass die Mitarbeiter unterbezahlt und die Wohnheime überbelegt waren und es regelmäßig zu »skandalösen Vorfällen« kam, die ein gefundenes Fressen für die Presse waren.
Als für die Aufnahme zuständige Ärztin hatte Sandra die Aufgabe, solche Probleme von vorneherein zu vermeiden und nur die wirklich Bedürftigen aufzu nehmen und die lediglich Verwirrten abzuweisen (oder an andere soziale Einrichtungen weiterzureichen). In der Theorie hörte sich das sehr einfach an: Sie brauchte nur eine Checkliste von Symptomen abzuarbeiten und eine entsprechende Empfehlung zu schreiben. Tatsächlich aber basierte ihre Arbeit zum großen Teil auf Vermutungen und führte nicht selten zu schmerzlichen Entscheidungen. Wies man zu viele Fälle ab, verärgerte man die Polizei oder die Gerichte; nahm man zu viele an, warf einem das Management erst durch die Blume und dann immer offener »Übergründlichkeit« vor, die einem den »Blick für das Wesentliche« verstelle. Noch schlimmer allerdings war, dass all diese Fälle keine Abstraktionen waren, sondern Menschen: zutiefst verletzte, erschöpfte, wütende und manchmal auch gewaltbereite Menschen; Menschen, die in der State Care allzu oft eine Art Gefängnisstrafe sahen (was man durchaus so sehen konnte).
Und so gab es eine unvermeidliche Spannung, eine Balance, die aufrechtzuerhalten war, und in der Institution selbst gab es unsichtbare Saiten, die die Schwingungen der richtigen oder falschen Töne aufnahmen. Als sie den Flügel betrat, in dem sie ihr Büro hatte, merkte Sandra, wie ihr die Schwester an der Aufnahme verstohlen nachblickte – eine Saite, die nachschwang. Entsprechend gewarnt blieb sie vor dem Fächerlabyrinth stehen, wo die Mitarbeiter ihren Papierkram und die Akten der anhängigen Fälle aufbewahrten. Die Schwester hieß Wattmore. »Wenn Sie die Mather-Akte suchen, Dr. Cole«, sagte sie, »die hat Dr. Congreve.«
»Wie bitte? Dr. Congreve hat Orrin Mathers Akte mitgenommen?«
»Habe ich das nicht eben gesagt?«
»Was will er damit?«
»Da müssen Sie ihn schon selber fragen.« Schwester
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