Vortex: Roman (German Edition)
betraut. Aber wenn du willst, können wir uns unterhalten.«
»Okay. Das ist schön.«
»Ich habe gestern mit Officer Bose gesprochen. Erinnerst du dich an ihn?«
»Ja, sicher, Ma’am. Officer Bose war der einzige Polizist, der sich für mich interessierte. Er war es, der meine Schwester Ariel angerufen hat. Wissen Sie, ob sie schon in der Stadt ist?«
»Das weiß ich nicht, aber ich rede später noch mit Bose – ich kann ihn fragen.« Ohne Umschweife fügte Sandra hinzu: »Er hat die Notizbücher erwähnt, die du bei dir hattest, als die Polizei dich aufgegriffen hat.«
Orrin war weder überrascht noch verärgert, dass Sandra von den Heften wusste, auch wenn sich für einen kurzen Augenblick ein Schatten über seine sonnige Miene legte. »Officer Bose meinte, die Polizei müsste sie vorerst behalten, aber ich bekäme sie früher oder später zurück.« Er runzelte die Stirn, schob ein V unter den hohen Haaransatz. »Das stimmt doch, oder? Egal, wie hier über mich entschieden wird …«
»Wenn Officer Bose das sagt, dann wird es wohl stimmen. Sind diese Hefte wichtig für dich?«
»Ja, Ma’am, ich glaube schon.«
»Sagst du mir, was drinsteht?«
»Naja, das ist schwer zu erklären.«
»Ist es eine Geschichte?«
»Könnte man so sagen.«
»Wovon handelt die Geschichte, Orrin?«
»Ich … ich erinnere mich nicht. Deshalb hätte ich die Hefte ja so gerne wieder, damit ich mein Gedächtnis auffrischen kann. Es geht um einen bestimmten Mann und eine bestimmte Frau. Aber noch um mehr. Es geht um … man könnte sagen, um Gott. Oder zumindest die Hypothetischen.«
»Hast du diese Geschichte selbst geschrieben?«
Warum errötete Orrin? »Ich habe sie aufgeschrieben «, sagte er nach einer Weile. »Aber ich kann nicht beschwören, dass ich sie geschrieben habe, nein. Ich bin kein großer Schreiber, war ich noch nie. Ein Lehrer in der Park-Valley-Schule, damals in North Carolina, meinte, ich könnte kein Namenwort von einem Tunwort unterscheiden und würde das auch nie lernen. Vermutlich hat er recht. Ich tue mich wirklich schwer mit Worten. Außer …«
»Außer was?«
»Außer mit diesen Worten.«
»Verstehe«, sagte Sandra, obwohl sie nichts verstand. Sie wollte Orrin nicht zu sehr bedrängen, aber eine Frage hatte sie noch: »Dieser Turk Findley – ist er erfunden oder echt?«
Orrin bekam feuerrote Ohren. »Ich glaube nicht, dass es ihn gibt, Ma’am. Ich glaube, ich habe ihn erfunden.«
Er log, das war nicht zu übersehen. Trotzdem ließ es Sandra dabei bewenden. Sie lächelte und nickte.
Als sie aufstand, fragte Orrin sie nach dem Namen der Blumen, die vor dem Fenster seines Zimmers wuchsen.
»Die da? Das sind Paradiesvogelblumen.«
Er bekam große Augen. »Die heißen wirklich so?«
»Mm-hm.«
»Ha! Wohl weil sie wie Vögel aussehen, oder?«
Der gelbe Schnabel, der abgerundete Kopf, der kristallene Tropfen, der wie ein Auge aussah. »Ja, genau.«
»Als ob in der Blume die Idee eines Vogels ist. Nur, dass sie keiner da reingetan hat. Oder Gott hat es getan.«
»Gott oder die Natur.«
»Was vielleicht auf dasselbe hinausläuft … Naja, einen schönen Tag noch, Dr. Cole.«
»Dir auch, Orrin.«
Bose rief gegen drei Uhr nachmittags zurück. Er war schwer zu verstehen, die Sprechchöre im Hintergrund drohten immer wieder seine Stimme zu verschlucken. »Tut mir leid«, rief er. »Ich bin unten am Ship-Channel. Eine Demo von Umweltschützern. Etwa fünfzig Leute auf den Schienen, die einen Konvoi von Tankwagen blockieren.«
»Wir sollten ihnen dafür danken«, erwiderte Sandra. Sie stand voll und ganz hinter den Demonstranten, die die Einfuhr fossiler Brennstoffe durch den Torbogen der Hypothetischen stoppen wollten, um die globale Erwärmung unter fünf Grad Celsius zu halten. Die Erde hätte weiß Gott genug Kohle, sagten sie, und für Sandra gab es an dieser Erkenntnis auch nichts zu rütteln. Die Ausbeutung der riesigen Ölvorkommen unter der äquatorianischen Wüste war eine Art Krebsgeschwür, das der Erde zwar Wohlstand, aber auch eine Verdopplung der CO 2 -Emissionen bescherte. Die in den Nachwehen des Spins aufgewachsene Generation jedoch wollte billiges Gas und vor allem keine Nörgler am reich gedeckten Tisch – und die ganze Welt bezahlte die Zeche.
»Ein Aktivist, der von einem Güterzug überrollt wird«, sagte Bose, »würde uns die Arbeit nur erschweren. Sie haben das Dokument bekommen?«
»Ja.«
»Sie haben es gelesen?«
»Ja. Officer Bose, ich …«
»Meine Freunde
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