Vortex: Roman (German Edition)
nennen mich einfach Bose.«
»Okay. Sehen Sie, Bose, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Glauben Sie wirklich, dass Orrin Mather diesen Text verfasst hat?«
»Ich weiß, es klingt abwegig. Selbst Orrin scheut sich, es zuzugeben.«
»Ja, ich habe ihn danach gefragt. Er sagt, er hat es aufgeschrieben, ist sich aber nicht sicher, ob es wirklich seine Worte sind. Als wäre ihm der Text diktiert worden. Was einiges erklären würde … Wie auch immer, was genau erwarten Sie von mir? Literaturkritik? Leider bin ich kein Science-Fiction-Fan.«
»Sie haben noch nicht alles gelesen. Ich hoffe, ich kann Ihnen heute noch mehr schicken. Was halten Sie davon, wenn wir uns morgen zum Mittagessen treffen und über die Details reden?«
War sie bereit, sich weiter mit dieser Absurdität zu befassen? Komischerweise ja, fand sie. Vielleicht aus Neugier. Vielleicht aus Mitgefühl für das scheue Kind, das sie in Orrin Mather entdeckt hatte. Und vielleicht auch, weil ihr Bose nicht unsympathisch war. Sie war einverstanden mit einem weiteren Schwung Seiten, fügte aber unwillkürlich hinzu: »Sie sollten wissen, dass es ein kleines Problem gibt. Ich musste Orrins Fall abgeben. Mein Chef hat ihn einem Trainee übergeben.«
Jetzt war es an Bose, kurz innezuhalten. Sandra lauschte den Sprechchören im Hintergrund: … unseren Kindeskindern … »Verdammt«, sagte Bose.
»Und ich bezweifle, dass mein Chef Sie ins Vertrauen zieht. Er ist …«
»Sie reden von Congreve? Der wird bei uns als Bürokratenarsch gehandelt.«
»Kein Kommentar.«
»Na gut. Aber Sie haben weiterhin Zugang zu Orrin?«
»Ich kann mit ihm reden, falls Sie das meinen. Aber Entscheidungsbefugnis habe ich keine mehr.«
»Was die Sache kompliziert. Trotzdem lege ich Wert auf Ihre Meinung.«
»Noch einmal: Es wäre hilfreich, wenn ich wüsste, warum Ihnen Orrin und seine Notizen so wichtig sind.«
»Das bereden wir morgen.«
Sie einigten sich auf ein Restaurant, das nicht zu weit von der State Care entfernt lag, aber ein bisschen gehobener war als die Alternativen in der Einkaufsmall. Dann sagte Bose: »Ich muss jetzt auflegen. Danke, Dr. Cole.«
»Sandra«, erwiderte sie.
4
TREYA / ALLISON
1.
Sie wollen wissen, wie es war? Was mit Vox und danach geschah?
Hier, bitte.
Etwas zum Vergessen, denken Sie vielleicht.
Lektüre für den Wind.
Oder für die Sterne.
2.
Seit meiner Geburt heiße ich Treya mit einem fünfsilbigen Suffix, das ich hier nicht wiederholen will. Vielleicht ist es besser, mich Allison Pearl die Zweite zu nennen. Ich ging zehn Jahre mit mir schwanger, die Wehen dauerten acht Tage, und die Geburt war traumatisch. Vom ersten Tag meines Lebens an war mir klar, dass ich nicht echt war, und genauso klar war mir, dass ich daran nichts ändern konnte.
Ich wurde sieben Tage vor dem Zeitpunkt geboren, da Vox den Torbogen zur alten Erde passieren sollte. Ich wurde in die Hände rebellierender Farmer geboren – geboren, während mir das eigene Blut über den Rücken lief. Bis ich meine Sprache wiederfand, war es zum größten Teil getrocknet.
Die Farmer hatten mir mein limbisches Implantat herausgeschnitten und es anschließend zerstört. Da das neurale Interface, der Netzknoten, seit meiner Geburt dem dritten Wirbel aufgepfropft war, litt ich fürchterliche Schmerzen. Ich erwachte unter Kaskaden flüssiger Lava, die mir aus dem Nacken ins Hirn schossen, aber viel schlimmer war, was ich nicht fühlte – nämlich den Rest meines Körpers. Von den Schultern abwärts war ich taub. Ich litt panische Angst. Schließlich spritzten sie mir irgendein primitives Narkotikum; wohl nicht aus Mitleid, sondern weil ihnen mein Geschrei auf die Nerven ging.
Als ich das nächste Mal zur Besinnung kam, prickelte und juckte mein Körper auf beinahe unerträgliche Weise, aber das war gut so, denn es bedeutete, dass er seine Funktionen wiederaufnahm. Selbst ohne den Netzwerkknoten waren meine erweiterten Körpersysteme unablässig zugange, kaputte Nerven zusammenzuflicken und Knochenschäden zu beheben. Und das hieß, dass ich über kurz oder lang wieder sitzen, stehen und gehen können würde. Also begann ich mich stärker für meine Umgebung zu interessieren.
Ich lag ganz hinten in einem Wagen auf einem Lager aus getrockneten Pflanzen. Der Wagen bewegte sich ziemlich schnell. Ich konnte nicht über den Rand blicken, dazu war er zu hoch, aber nach oben hin war der Wagen offen. Der Himmel war mit Wolken gesprenkelt, und hin und wieder schwankte eine
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