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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Indikatoren zu analysieren – Dinge, die du oder die du nicht gesagt oder getan hast –, braucht der Coryphaeus viel länger. Aber letzten Endes wärt ihr aufgeflogen.« Wieder dieses Buddha-Lächeln. »Wenn ich nicht interveniert hätte.«
    Ich holte tief Luft und sagte: »Aber woher weißt du es?«
    »Der Coryphaeus fing bereits an seine Schlüsse zu ziehen. Ich habe lediglich extrapoliert. Die Details sind mir nicht klar, aber ich vermute, ihr wollt ein Luftfahrzeug stehlen und damit durch den Torbogen nach Äquatoria fliehen.«
    »Tja …«
    »Ich hoffe, ihr schafft es.«
    »Heißt das … Was willst du damit sagen? Willst du mitkommen?«
    Sein Lächeln verblasste. »Das ist nicht gut möglich. Als man mich rekonstruiert hat, wurden wichtige neurale Funktionen an entfernte Netzwerk-Prozessoren delegiert. Nur ein Teil von mir lebt in diesem Körper. Du verstehst das doch, oder nicht? Dass eine Person mehr als eine Natur haben kann?«
    »Ja.«
    »Ich kann nicht mitkommen, aber ich kann euch vielleicht helfen.«
    »Helfen? Wie meinst du das?«
    »Turk kann die Maschine erst fliegen, wenn sein Implantat so weit gediehen ist, dass es ihm Zugang zu den Steuerorganen verschafft. Ist der Knoten voll entwickelt, wird Turk nicht mehr hier wegwollen. Du verstehst, wie schmal das Fenster für eure Flucht ist?«
    »Ja, nur …«
    »Momentan sieht Turk sich vor die Wahl gestellt zwischen Flucht und einem Dasein als Marionette. Gewinnt der Netzknoten Einfluss auf sein Gehirn, könnte Turk sich mehr und mehr vor die Wahl zwischen Flucht und Vergebung gestellt sehen.«
    Vergebung für was?
    »Ich kann dich warnen, wenn dieses Fenster zu schmal wird. Und ich kann euch helfen, indem ich zur richtigen Zeit die Aufmerksamkeit des Coryphaeus ablenke. Die Details können wir später noch besprechen, aber du sollst wissen, dass du in mir einen Freund und Verbündeten hast.«
    Er klang so sehr wie ein altkluges Kind, das geliebt werden will, dass ich vergaß, mich vor ihm zu fürchten. Doch als er aufstand (wann hatte er sich hingesetzt?) und zur Tür ging, wäre ich fast in Panik geraten. »Warte! Ist unsere Netzwerküberwachung jetzt immer abgeschaltet?«
    »Nein. Ich bin leider nicht allmächtig. Wenn ich nicht physisch präsent bin, solltest du davon ausgehen, dass das Netzwerk mithört.«
    Ich zwang mich, nahe an ihn heranzutreten. Die Haut seiner rechten Gesichtshälfte hatte das Rosa einer Muschel schale und war nahezu porenlos glatt – war unvollkommen, weil sie zu vollkommen war. Seine Augen strahlten sanft. »Eine Frage noch«, sagte ich.
    »Ja?«
    »Kannst du … du weißt doch, was die anderen sagen?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Was die Prophezeiungen von dir behaupten. Kannst du mit den Hypothetischen sprechen?«
    »Nein«, erwiderte er. »Noch nicht.«
    Es verging keine Stunde, und Oscar stand vor der Tür – völlig aufgebracht. Er wusste, dass Isaac hier gewesen war, und war versessen darauf, von mir zu hören, was der Junge gesagt hatte, zumal sich das Netzwerk ausschwieg. Er verlangte eine Erklärung.
    Als ich Treya gewesen war und zur Verbindungstherapeutin ausgebildet wurde, hatte ich Oscar so kennengelernt, wie man Lehrer eben kennenlernt. Er hatte stets ein heiteres Vertrauen in die Lauterkeit und den Sinn seiner Arbeit gehabt. Ein voxisches Sprichwort sagt: »Er steigt und fällt mit den Gezeiten«, womit jemand beschrieben wird, der den Bedürfnissen von Vox-Core nachgeht und sie wie selbstverständlich befriedigt. Jemand wie Oscar. Seit Kurzem allerdings schien dieses Vertrauen Risse zu bekommen. Dass Isaac sich mit einer unvernetzten Abtrünnigen getroffen und für eine Intimität gesorgt hatte, wie es die Routineüberwachung des Netzwerks normalerweise nicht zuließ – das sabotierte seinen ausgeprägten Sinn für Ordnung.
    Ich sagte ihm, Isaac und ich hätten in Erinnerungen an das 21. Jahrhundert geschwelgt.
    »Alles, was du über die Vergangenheit weißt, kann er mühelos abrufen.«
    »Vielleicht war er einfach neugierig auf mich. Woher soll ich das wissen? Oder vielleicht hat er nur mal Lust auf Englisch gehabt.«
    »Was hast du schon zu sagen, was ein Geschöpf wie ihn interessieren könnte – egal in welcher Sprache?«
    Das war beleidigend, also benutzte ich einen Ausdruck, den Oscar womöglich noch nicht kannte: »Leck mich«, sagte ich und schloss die Tür.
    2.
    Der Tag verstrich. Keine Nachricht von Turk. Er hatte mich darauf vorbereitet, dass man ihn nach dem Eingriff vielleicht

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