Vortex: Roman (German Edition)

Behandlung unterzogen, obwohl es einige taten. Sie traten vielmehr an, sich zum Hüter der Behandlung zu machen. Das Präparat nach ethischen Grundsätzen und – solange die Gesetze so blieben – geheim zu verteilen. Der Kreis wurde im Laufe der Jahre größer. Er ist nicht hermetisch abgeschlossen, aber wir geben uns Mühe aufeinander aufzupassen.«
    Wir, hatte er gesagt.
    Bose kam in die Lobby zurück und sagte: »Ich finde es nicht gut, wenn ich dich einfach zu Hause absetze. Was meinst du, wenn wir uns ein Zimmer für die Nacht nehmen?« Er lächelte. »Ein Doppelzimmer, wenn du sparen möchtest.«
    »Was ist das nun – ein ökonomischer Vorschlag?«
    »Nein«, sagte er, »nicht ganz.«
    Die Klimaanlage war marode, aber für manche Dinge lohnte es sich einfach zu schwitzen.
    Nachdem sie sich geliebt hatten – an den Fenstern das trübe Leuchten der vorbeifahrenden Autos –, ließ Sandra den Finger an Boses Narbe entlanglaufen, vom Bauch bis zur Schulter. Als er merkte, was sie machte, zuckte er zusammen, entspannte sich dann aber – womöglich weil er sich dazu zwang.
    »Stört es dich, wenn ich dich danach frage?«
    Er schwieg unangenehm lange. Dann setzte er sich auf und lehnte sich gegen den Kopfteil des Bettes.
    »Ich war siebzehn«, sagte er. »Ich war auf Besuch bei meinem Vater in Madras. Das war, nachdem sich meine Eltern getrennt hatten. Mein Vater war technischer Berater einer Firma, die Flachwasser-Windgeneratoren installierte. Die Firma mietete ihm einen Bungalow mit Meerblick, aber die Gegend war unsicher und die Sicherheitsvorkehrungen miserabel. Eines Nachts wurde eingebrochen. Die Diebe töteten meinen Vater. Und ich – ich wollte ihn in meiner Naivität verteidigen.« Er legte seine Hand über die ihre. »Sie hatten Messer.«
    Wenn die Narbe von einem Messer stammte, dann mussten sie ihn fast ausgeweidet haben. »Das ist ja entsetzlich.«
    »Ein Nachbar hörte das Geschrei und rief die Polizei. Ich verlor viel Blut – eine Weile war nicht klar, ob ich durchkommen würde. Meine Mutter kam herübergeflogen, ließ ein paar Beziehungen spielen und sorgte dafür, dass ich die richtige medizinische Versorgung bekam.«
    Sandra fragte sich, ob er deshalb im Houston Police Department gelandet war: Empörung über das Verbrechen, die Polizei dein später Retter … Süd-Indien nach dem Spin: »Die ersten Jahre muss es drüben ziemlich schlimm gewesen sein.«
    »Nicht schlimmer als in Houston«, sagte Bose. Aber er redete offensichtlich nicht gern darüber, also ließ sie von ihm ab und schloss die Augen.
    Es war seltsam, in einem fremden Bett neben ihm aufzuwachen. Der Morgen war schon vorbei, Dieselgeruch sickerte durch die schlecht schließenden Motelfenster. Sandra setzte sich auf und gähnte. Bose schlief noch; er lag auf dem Rücken und atmete so regelmäßig wie Wellen, die sich an einem Strand brechen. Der salzige, unverkennbare Geruch nach Sex hing über dem Bett.
    Am liebsten wäre sie auf unbestimmte Zeit hier liegen geblieben, und sie hätte das auch gekonnt: Sie war praktisch arbeitslos, sie musste nirgendwo erscheinen. Aber ein calvinistischer Impuls ließ sie die Uhr vom Nachttisch nehmen. Kurz nach Mittag. Der Tag halb vergeudet. Wie schrecklich.
    Sie stand behutsam auf und ging unter die Dusche. Sie musste anziehen, was sie gestern angehabt hatte, auch wenn es nicht mehr frisch war.
    Als sie in Jeans und Bluse aus dem Badezimmer kam, war Bose ebenfalls wach und grinste sie an. »Frühstück«, sagte er.
    »Zu spät.«
    »Dann Lunch. Ich habe eben Ariel angerufen. Orrin ist noch groggy, aber es geht ihm schon besser. Sie sind zum Motel-Café . Vielleicht verkrümeln wir uns irgendwo, wo es uns besser gefällt, was meinst du? Dann kommen wir hierher zurück. Wir haben für zwei Nächte gebucht, und für Orrin und Ariel kann ich heute noch eine Fahrt arrangieren.«
    Ja, dachte Sandra, und dann? Wenn die Mather-Geschwister einmal heil aus der Stadt waren – was dann?
    Die Hitzewelle war noch nicht gebrochen, aber die Nachrichten kündigten für den Abend Stürme an. Sandra hoffte inständig, dass die Voraussage stimmte. Der Himmel war staubig und heiß, und am südlichen Horizont schickten sich die Wolken an, den Bau ihrer Nachmittagskathedralen in höhere, kühlere Luftschichten zu verlegen.
    Boses Idee, »irgendwo, wo es uns besser gefällt« zu Mittag zu essen, verschlug sie in ein Fast-Food-Restaurant abseits des Highways. Sandra bestellte ein Sandwich und versuchte das