Vorübergehend tot
warten, bis der Mörder zu mir kam, oder ich konnte hinaus in den Wald gehen.
Eine harte Entscheidung! Ich ging von einem Zimmer ins nächste, löschte alle Lampen und biß mir die Unterlippe blutig, während ich versuchte, mich mit mir selbst auf ein bestimmtes Vorgehen zu einigen. Das Haus bot mir zumindest etwas Schutz: Es hatte Türschlösser und Wände, Ecken und Winkel. Aber ich wußte genau, daß jeder, der fest dazu entschlossen war, hier einbrechen konnte, und dann würde ich in der Falle sitzen.
Dann also der Wald. Wie sollte ich ungesehen aus dem Haus gelangen? Zunächst löschte ich alle Außenlichter. Die Hintertür lag dichter am Wald als die Vordertür, da fiel die Wahl leicht. Im Wald kannte ich mich aus. Ich hätte eigentlich durchaus in der Lage sein müssen, mich dort bis zum Tagesanbruch zu verstecken. Vielleicht gelang es mir auch, es bis hinüber zu Bills Haus zu schaffen. Sein Telefon funktionierte doch bestimmt noch, und ich besaß den Schlüssel zu seinem Haus.
Ich konnte auch versuchen, bis zu meinem Auto zu kommen und es zu starten. Aber das würde bedeuten, ein paar Sekunden lang an einem Ort zu verharren, noch dazu sichtbar, sozusagen auf dem Präsentierteller.
Nein, der Wald schien für mich wirklich die beste Wahl zu sein.
Also steckte ich den Schlüssel von Bills Haus in eine meiner Hosentaschen, dazu das Taschenmesser meines Opas, das meine Großmutter in der Schublade des Wohnzimmertischs aufbewahrt hatte, weil sie damit Pakete zu öffnen pflegte. In die andere Hosentasche steckte ich eine winzige Taschenlampe. Meine Oma besaß ein uraltes Gewehr, das sich stets im Flurschrank befand und das meinem Vater gehört hatte, als er noch ein Junge gewesen war. Meine Großmutter hatte damit im wesentlichen auf Schlangen geschossen. Nun, auch ich hatte da draußen eine Schlange, die es zu erschießen galt. Das verdammte Gewehr war mir immer schon zuwider gewesen, ebenso die bloße Vorstellung, es wirklich abfeuern zu müssen, aber nun schien es an der Zeit, sich zu bewaffnen.
Das Gewehr war nicht im Schrank.
Ich mochte meinen Sinnen kaum trauen. Ich tastete mich durch den ganzen Flurschrank.
Er war in meinem Haus gewesen!
Aber bei mir war nicht eingebrochen worden.
Jemand, den ich hereingebeten hatte. Wer war hiergewesen? Ich versuchte, sie alle aufzuzählen, während ich zurück zur Hintertür schlich, nicht ohne mir vorher die Turnschuhe neu zugebunden zu haben, um nur ja nicht auf lose Schnürsenkel zu treten. Hastig, mehr oder weniger mit einer Hand, raffte ich mein Haar, damit es mir nicht ins Gesicht hing, zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammen und steckte ihn durch ein einfaches Gummiband. Aber während ich all das tat, dachte ich die ganze Zeit über das gestohlene Gewehr nach.
Wer war alles in meinem Haus gewesen? Bill, Jason, Arlene, Rene, die Kinder, Andy Bellefleur, Sam, Sid Matt; ich war mir ziemlich sicher, daß ich jeden von ihnen einmal eine Minute oder zwei alleingelassen hatte, vielleicht hatte das gereicht, das Gewehr irgendwo draußen zu deponieren, um es sich später holen zu können.
Dann erinnerte ich mich an den Tag, an dem wir meine Großmutter beerdigt hatten. In den Tagen nach Großmutters Tod und auch am Beerdigungstag selbst war ich ständig im Haus aus und ein gegangen, und ich konnte mich einfach nicht mehr daran erinnern, ob ich das Gewehr nach der Trauerfeier und dem anschließenden Kaffee trinken bei mir zu Hause noch einmal gesehen hatte. Allerdings wäre es nicht einfach gewesen, sich mit einem geraubten Gewehr aus einem überfüllten Haus zu schleichen, in dem es den ganzen Tag über geschäftig zuging. Außerdem, dachte ich weiter, hätte ich sein Verschwinden mittlerweile bestimmt bemerkt. Ich war mir sogar ziemlich sicher, daß mir das Fehlen der Waffe auf keinen Fall so lange entgangen wäre.
Aber all diese Überlegungen mußte ich erst einmal beiseite schieben und mich ganz auf mein eigentliches Anliegen konzentrieren: schlauer zu sein als das, was da draußen im Dunkeln auf mich lauerte. Was immer das auch sein mochte.
Ich öffnete die Hintertür, ging in die Hocke und watschelte im Entengang ganz vorsichtig und leise nach draußen, bemüht, mich so klein zu machen wie möglich. Sanft zog ich die Tür hinter mir zu, ohne sie ganz zu schließen. Ich hielt mich von der Treppe fern. Statt dessen streckte ich ein Bein aus und tastete mich mit dem Fuß bis zum Boden vor, während ich gleichzeitig auf der Veranda hocken blieb. Dann
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