Vorübergehend tot
Rene?“
„Du Miststück!“ kreischte mein Gegner, und in der nächsten Sekunde erfuhr ich, daß Renes eigene Schwester die erste Frau gewesen war, die hatte sterben müssen. Renes Schwester, die, die Vampire gemocht hatte, die, die er angeblich immer noch von Zeit zu Zeit besuchte - zumindest war Arlene dieser Meinung. Rene hatte seine Schwester Cindy, die Kellnerin, umgebracht, und als er sie umbrachte, hatte sie die rosa-weiß gestreifte Uniform getragen, in der sie in der Krankenhauscafeteria gearbeitet hatte. Rene hatte Cindy mit ihren Schürzenbändern erdrosselt. Dann hatte er sich an ihrer Leiche vergangen. So tief war sie in seinen Augen gesunken, daß ihr auch Sex mit dem eigenen Bruder nichts mehr ausmachen würde - so dachte Rene darüber, wenn man das denken nennen wollte, was in seinem Kopf vorging. Jeder, der duldete, daß ein Vampir es mit ihm trieb, verdiente seiner Meinung nach den Tod. Cindys Leiche hatte Rene versteckt, weil er sich ihrer geschämt hatte. Die anderen waren alle nicht sein eigen Fleisch und Blut gewesen, die hatte er ruhig am Tatort liegen lassen können.
Ich war in Renes krankes Innenleben gezogen worden wie ein Zweig, der in einen Wasserstrudel gerät, und was ich in seinem Kopf erlebte, schockierte mich so, daß ich dort hinter meiner Säule leicht schwankte. Als ich dann wieder in meinen eigenen Kopf zurückkehrte, war Rene bereits über mir. Er versetzte mir mit aller Kraft einen Faustschlag ins Gesicht, wobei er wohl erwartete, mich niederzustrecken. Der Schlag brach mir das Nasenbein und tat so weh, daß ich fast in Ohnmacht gefallen wäre, aber ich wurde nicht bewußtlos und brach auch nicht zusammen. Ich schlug zurück. Mein Schlag war nicht sehr gut plaziert, denn es mangelte mir an Erfahrung. So traf ich Rene zwar zwischen den Rippen, und er stöhnte laut auf, landete aber bereits in der nächsten Sekunde den Gegenschlag.
Seine Faust brach mir das Schlüsselbein. Aber ich ging nicht zu Boden.
Rene hatte nicht geahnt, wie stark ich war. Sein Gesicht, das ich im Mondlicht ganz deutlich erkennen konnte, wirkte völlig überrascht und schockiert, als ich nun zurückschlug, und ich dankte mit Inbrunst dem Vampirblut, das ich zu mir genommen hatte. Ganz deutlich stand mir meine tapfere Oma vor Augen, als ich mich auf Rene stürzte, ihn bei den Ohren packte und versuchte, seinen Kopf gegen die Granitsäule zu schmettern. Renes Hände flogen hoch und packten meine Unterarme. Er versuchte, mich wegzudrücken, um meinen Griff zu lockern, was ihm letztlich auch gelang. Aber nun war er gewarnt. Ich las in seinen Augen, wie sehr ihn mein Verhalten überraschte und daß er sich von jetzt an besser in Acht nehmen würde. Ich versuchte, ihm mein Knie in den Schritt zu rammen, aber er sah den Tritt kommen und drehte sich ein ganz klein wenig zur Seite, so daß mein Bein ins Leere schoß. Ich hatte das Gleichgewicht noch nicht wiedererlangt, als er mir auch schon einen kräftigen Stoß versetzte und ich mit einem Aufprall, bei dem alle meine Zähne schmerzhaft aufeinander krachten, zu Boden ging.
In Sekundenschnelle hockte Rene rittlings auf mir. Bei unserem Kampf war ihm jedoch sein Strick abhanden gekommen, und während er mit der einen Hand meinen Hals umklammert hielt, tastete er mit der anderen nach der Mordwaffe, für die er sich nun einmal entschieden hatte. Er hockte auf meinem rechten Arm, der war also festgenagelt, aber mein linker war frei, mit dem konnte ich schlagen und kratzen. Rene vermochte diese Schläge nicht abzuwehren, denn er mußte weiterhin nach dem Strick suchen, mit dem er mich erwürgen wollte. Dieser Strick war fester Bestandteil seines Rituals, ohne ihn ging es nicht, und dann traf meine schlagende Linke auf ein vertrautes Objekt.
Rene trug Arbeitskleidung; an seinem Gürtel baumelte immer noch das Messer. Hastig riß ich den Verschluß der Lederscheide auf und zog das Messer hervor. „Verdammt, das hätte ich abnehmen sollen“, dachte mein Gegner, doch da fuhr ihm die scharfe Schneide auch schon mit Wucht ins weiche Fleisch seiner Taille. Ich riß das Messer nach oben. Dann zog ich es wieder heraus.
Rene schrie wie am Spieß.
Stolpernd kam er auf die Beine, beugte den Oberkörper zur Seite und versuchte verzweifelt, mit beiden Händen das Blut zu stoppen, das ihm aus der Wunde schoß.
Hastig rutschte ich rückwärts, stand dann auf und versuchte, schnell ein wenig Distanz zwischen mich und diesen Mann zu bringen, der gewiß ebenso ein Monster war,
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