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Vorübergehend tot

Vorübergehend tot

Titel: Vorübergehend tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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dem bekannt gewesen war, daß Bubba mich bewachte; der von Bubbas Vorliebe für Katzenblut wußte.
    Ich hörte ein Knacken hinter mir. Jemand war auf einen Ast getreten. Ich glitt in den Schatten des nächsten Baumes. Ich war wütend, sehr wütend, hatte Angst und fragte mich, ob ich wohl in dieser Nacht würde sterben müssen.
    Zwar trug ich mein Gewehr nicht bei mir, dafür verfügte ich jedoch über ein eingebautes Werkzeug. Ich schloß die Augen und schickte meinen Verstand auf die Suche.
    Ein Wust aus Dunkelheit, rot, schwarz. Haß.
    Unwillkürlich zuckte ich zurück, aber das konnte ich mir nicht erlauben! Ich mußte zuhören, es war mein einziger Schutz. Ich ließ mein Visier vollständig fahren.
    Beim Anblick der Bilder, die in meinen Kopf strömten, wurde mir ganz schlecht, sie vermittelten mir nichts als nacktes Entsetzen. Dawn, die jemanden bat, sie zu schlagen, die erkennen mußte, daß dieser jemand ihre Strumpfhose in der Hand hielt, sie zwischen seinen beiden Händen in die Länge zog, sich anschickte, ihr die Strumpfhose um den Hals zu schlingen, fest zuzuziehen. Eine kurze Aufnahme Maudettes, nackt, die jemanden anflehte. Eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte, die mir den Rücken zuwandte, einen nackten Rücken voller Striemen, voller blauer Flecke. Dann meine Großmutter – meine Großmutter! - in unserer vertrauten Küche, wie sie voller Zorn um ihr Leben kämpfte.
    Ich war gelähmt vom Schock, dem Entsetzen, das mich bei all dem überkam. Wessen Gedanken las ich da? Ich sah Arlenes Kinder auf dem Boden in meinem Wohnzimmer spielen; ich sah mich selbst, aber nicht so, wie ich mich sah, wenn ich morgens in den Spiegel schaute. Jetzt trug ich tiefe Löcher am Hals, ich grinste wissend und lüstern, streichelte einladend über die Innenseite meiner Oberschenkel.
    Ich war im Kopf Rene Leniers. Diese Bilder sah Rene, wenn er mich sah.
    Rene war wahnsinnig.
    Nun wußte ich auch, warum ich seine Gedanken nie deutlich hatte entziffern können; er hielt sie an einem geheimen Ort versteckt, getrennt von seinem bewußten Ich.
    In diesem Moment sah er hinter einem der Bäume einen Umriß und fragte sich, ob dies wohl die Silhouette einer Frau sein konnte.
    Er konnte mich sehen.
    Ich machte mich aus dem Staub und rannte westwärts auf den Friedhof zu. Ich konnte den Dingen, die in seinem Kopf vor sich gingen, nicht mehr zuhören, denn mein eigener Kopf mußte sich nun ausschließlich aufs Laufen konzentrieren, darauf, den Hindernissen auszuweichen, die sich mir in Gestalt von Bäumen, Büschen, abgebrochenen Ästen und einem kleinen Rinnsal, in dem sich Regenwasser gesammelt hatte, in den Weg stellten. Meine Beine stampften über den Boden, meine Arme schwangen vor und zurück, mein Atem klang wie das Pfeifen eines Dudelsacks.
    Ich brach aus dem Wald hervor und befand mich auf dem Friedhof. Der älteste Teil der Anlage lag ein wenig weiter nördlich, dort, wo sich auch Bills Haus befand - da gab es die besten Verstecke. Ich setzte über die Grabsteine, die modernen, die sich eng an den Boden schmiegten und hinter denen man sich nicht verstecken konnte. Ich sprang über das Grab meiner Oma, wo die Erde noch nackt war und es noch keinen Grabstein gab. Omas Mörder war mir dicht auf den Fersen, und ich Närrin drehte mich um, um zu sehen, wo er sein mochte, und da sah ich im hellen Mondlicht ganz klar Renes struppigen Kopf, und gleichzeitig sah ich auch, wie nah er schon war.
    Der Friedhof bildete insgesamt eine kleine Senke. Ich rannte den sanften Abhang an der einen Seite der Senke hinab und fing an, auf der anderen Seite wieder hinaufzulaufen. Als ich der Meinung war, zwischen mir und Rene befänden sich inzwischen genügend große Grabsteine und Statuen, hechtete ich mit einem letzten Satz hinter eine mächtige Granitsäule, auf deren Spitze ein Kreuz thronte. Dort blieb ich stehen und preßte meinen Körper gegen den glatten, kühlen, harten Stein. Ich legte mir selbst ganz fest die Hand auf den Mund, denn meine Lungen rangen so heftig nach Luft, daß es fast wie ein Schluchzen klang, und dieses Geräusch mußte ich unterdrücken. Ich zwang mich zu innerer Ruhe, um Renes Gedanken lesen zu können, aber sie waren in einem so kruden Durcheinander, daß es mir unmöglich war, sie zu entziffern. Das einzige, was ich deutlich hören konnte, war die Wut, die er empfand. Dann aber stand mir jäh eine plötzliche Erkenntnis ganz klar vor Augen.
    „Deine Schwester!“ rief ich aus. „Ist Cindy noch am Leben,

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