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Vorübergehend tot

Vorübergehend tot

Titel: Vorübergehend tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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scheinbar nichts unternehmen wollte.
    „Sie mögen dieses Tier?“ fragte er, und seine Stimme klang völlig neutral.
    „Das ist meine Katze“, sagte ich. „Sie heißt Tina, und ich mag sie sehr.“
    Ohne weiteren Kommentar stand Bill unbeweglich da und wartete, bis Tina sich wieder auf den Weg machte und in der Dunkelheit hinter dem Schein des Verandalichts verschwand.
    „Möchten Sie gern auf der Schaukel oder auf den Gartenstühlen sitzen, oder wollen Sie spazierengehen?“ fragte ich, denn ich fühlte mich nun als die Gastgeberin.
    „Lassen Sie uns doch ein bißchen spazierengehen. Ich muß mir die Beine vertreten.“
    Diese Bemerkung machte mich irgendwie ein wenig nervös, aber dann gingen wir los, die lange Auffahrt hinab auf die zweispurige Landstraße zu, die an der Vorderseite unserer jeweiligen Ländereien entlangführte.
    „Hat der Anblick des Wohnwagens Sie beunruhigt?“ wollte Bill wissen, und ich versuchte, mir zu überlegen, wie ich meine Reaktion am besten in Worte fassen konnte.
    „Ich fühle mich sehr ... nun ... sehr klein und zerbrechlich. Wenn ich an den Wohnwagen denke.“
    „Sie wußten, daß ich stark bin.“
    Nachdenklich wandte ich den Kopf von einer Seite zur anderen und dachte über diese Feststellung nach. „Ja, aber das ganze Ausmaß Ihrer Kraft konnte ich mir bildlich nicht vorstellen“, erklärte ich ihm dann. „Oder auch das Ausmaß Ihrer Phantasie.“
    „Wir werden im Lauf der Jahre sehr gut darin, unsere Taten zu tarnen.“
    „Ach ja? Ich nehme an, Sie haben ziemlich viele Menschen umgebracht?“
    „Einige.“ Damit mußt du umgehen lernen - das sagte er nicht, aber es schwang deutlich mit.
    Ich verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Waren Sie, gleich nachdem Sie Vampir wurden, hungriger? Wie ist es passiert?“
    Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Er sah mich an, und ich spürte seine Augen auf mir ruhen, auch wenn wir uns jetzt völlig im Dunkeln befanden, denn um uns herum standen dicht die Bäume des Waldes. Unter unseren Füßen knirschte der Kies der Auffahrt.
    „Was die Frage betrifft, wie ich Vampir wurde - das wäre eine zu lange Geschichte. Aber ja, als ich jünger war, habe ich - ein paar Mal - versehentlich getötet. Ich wußte nie, wann ich wieder etwas zu essen bekommen würde, verstehen Sie? Natürlich wurde ständig auf uns Jagd gemacht, und so etwas wie künstliches Blut gab es nicht. Damals lebten hier auch noch nicht so viele Menschen. Aber ich war zu Lebzeiten ein guter Mann - ich meine: ehe mich das Virus erwischte. Also versuchte ich, zivilisiert mit der ganzen Sache umzugehen, mir schlechte Menschen als Opfer zu wählen, mich nie von Kindern zu nähren. Ich habe es zumindest fertiggebracht, nie ein Kind zu ermorden. Heute ist das alles ganz anders. Ich kann jederzeit in jeder Stadt in eine rund um die Uhr geöffnete Ambulanz gehen und mir ein wenig synthetisches Blut besorgen, auch wenn es ekelhaft schmeckt. Oder ich kann eine Hure bezahlen und mir bei ihr genug Blut holen, um ein paar Tage auszukommen. Oder ich kann jemanden bezirzen, der sich dann aus Liebe von mir beißen läßt und hinterher vergißt, was geschehen ist. Ich brauche auch nicht mehr so viel.“
    „Oder Sie lernen ein Mädchen mit einer Kopfverletzung kennen“, sagte ich.
    „Oh, Sie waren der Nachtisch. Die Rattrays waren die Mahlzeit.“
    Damit mußt du umgehen lernen.
    „Holla!“ sagte ich atemlos. „Lassen Sie mir ein wenig Zeit.“
    Er ließ mir Zeit. Kein Mann - nicht einer von einer Million - hätte mir all diese Zeit gelassen, ohne etwas zu sagen. Ich öffnete mich, ließ alle Wachsamkeit fahren, entspannte mich. Sein Schweigen schlug über mir zusammen wie eine Welle. Mit geschlossenen Augen stand ich da und atmete Erleichterung aus, die zu tief war, um sie in Worte fassen zu können.
    „Sind Sie nun glücklich?“ fragte er, ganz so, als könne er das eigentlich selbst erraten.
    „Ja“, flüsterte ich atemlos. In diesem Augenblick, nach einem ganzen Leben, in dem sich die Gedanken anderer Menschen in meinem Kopf herumgetrieben hatten, empfand ich den Frieden neben diesem Wesen als unendlich wertvoll - ganz gleich, was dieses Wesen getan haben mochte.
    „Sie tun mir ebenfalls gut“, sagte er und überraschte mich damit.
    „Wie das denn?“ fragte ich langsam und verträumt.
    „Keine Angst, keine Eile. Sie verdammen mich nicht, ich muß Sie nicht bezirzen, damit Sie stillhalten und ich mich mit Ihnen unterhalten

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